„Vornehmes Element“ in Vorwärtsverteidigung

■ Nach dem Hinwegstoß gab's für Senator Schulte seinen letzten Kultur-„Anstoß“

Nietzsche war ein Freund „der ewigen Wiederholung des Gleichen“. Wahrscheinlich hätte er sich wohlgefühlt am Montag in der Bürgerschaft, wo die KulturRettungsInitiative Anstoß wohl zum 648ten Mal Wesen und Sinn staatlicher Kulturförderung diskutieren ließ; diesmal von der Arbeitnehmerkammer, vertreten durch Thomas Frey, und – nicht zum ersten Mal – von der Handelskammer, vertreten durch Bernd Hockemeyer. Strategischer Zweck der Wirtschaftslastigkeit des Podiums: aufs Neue ankämpfen gegen die Scheinantagonismen Investition – Konsumtion, lebenswichtige Wirtschaft – verzichtbares Künstlerblabla, die sich in manchem Politikerkopf großer Beliebtheit erfreuen. Spaß machen solche Veranstaltungen nicht. Gar einige der armen Behörden-, Kultur- und Pressevertreter, für die quasi Anwesenheitspflicht bestand, können die Argumente im Schlaf beten: Wirtschaftsfaktor Kunst, Ansiedlungsargument Kunst ... Und so waren im Vergleich zu sonst die Publikumsreihen gelichtet.

Unerlässlich ist der Rummel aber dennoch, weil in Mediendemokratien die Wahrheit nur durch Penetranz in die entscheidenden Köpfe katapultiert wird. Diese Wahrheit lautet zum Beispiel: 125 Stellen. So viel, errechnete Hockemeyer, entfallen in den nächsten Jahren, wenn die Kultur laut Kulturentwicklungsplan (KEP) „entwickelt“ wird. Das kommt von der de-facto-Kürzung durch Etatdeckelung. Anstoßvertreter Horst von Hassel ist mit dem KEP eigentlich ganz glücklich, „aber nur bis Seite sechs, ab da muss er neu geschrieben werden“ – und fordert Kultursenator Bernt Schulte auf, in seiner Restlaufzeit (bis Juli) dahingehend zu wirken. „Das wäre mal ein Abschied.“ Er, Frey und Hockemeyer bemängeln, dass KEP „eher ein Zustandsbericht ist“ als zu entwickeln. Etwa Vision.

Darauf Schulte: „Lieber Herr von Hassel, ich halte das für realitätsfern.“ Dafür bedankt der sich so: „Mein Eindruck: dass der Senat mit ihrem Ausscheiden ein vornehmes Element verliert.“ Womit er wohl dessen „ecce homo“ meint, dieses: ich will ja nicht, ich muss – wegen der politischen Mehrheiten und ökonomischen Zwänge Bremens. Unvermeidliches Stichwort: Finanzsenator Perschau. Dieser und Senatskanzleichef Hoffmann, so vermutet Schulte, hätten ihn „mit einem Wolkenkuckucksheim in die Wüste geschickt“. Dann huldigt er aber doch dem harten New-economy-schlanker-Staat-Sprech: Jetzt das Philharmonische Orchester stark machen mit einer Million Mark mehr, um später dauerhaft den Zuschuss zu senken. Aber da steckt das wahre Wolkenkuckucksheim, sind doch „später“ die Besetzungszahlen für A-Orchester keine anderen als heute. In seiner Rede wechselt Schulte einigermaßen charmant zwischen Selbstlob, Offenheit für Kritik und kämpferischem Auftreten, er beklagt „Selbstmitleid und Larmoyanz, die ich hier spüre“, und bedankt sich für die Unterstützung in Sachen Etatverhandlungen „bei Carmen Emingholz und in diesem Fall auch bei Jens Eckhoff.“ In diesem Fall – da schmunzeln einige.

Moderator Ulli Fuchs und viele andere wischten zwei Stunden KEP-Überdenken am Schluss hinweg mit einem: KEP braucht sowieso keiner in der Kultur; ist nur ein Werbemittel für die störrischen Sparfanatiker. Den Leitern von Jugendzentren, Theatern, Museen sei mit schönen Sätzen über Kreativität und Sinnbestimmungen von Kultur eher wenig gedient. Deshalb wirkt die KEP-Analyse durch Frey etwas merkwürdig. Der fordert eine Reflexion der neuen vernetzten Internetwelt. Aber kann man mit solchen Reflexionen Werner Schwab besser inszenieren oder neue Techno-Trends aufspüren? Deshalb ist Schultes nettes Angebot, den KEP nochmal zu diskutieren, für manche eine Drohung. bk