Röckchen im Wüstensand

Auf der Suche nach Bedeutung in der Bedeutungslosigkeit. She She Pop mit „Rules“ und „Cheap Jewelry“ mit Vaginal Davis beim reich & berühmt-Festival in Podewil und Prater

„Kwan“ ist der Leuchtkörper des Seins. Wer um Kwan spielt, der spielt um „Liebe, Anerkennung und Geld, also um das ganze Programm“. So jedenfalls will es der Captain, und die Rugby-Mannschaft folgt ihm. Mit dem Sieg ist nämlich nicht nur ihre Spielerehre auf dem Feld gerettet, nein, der Wurf ist größer, und er muss gelingen, denn es geht um Existenz.

Die Performance-Gruppe „She She Pop“ inszeniert „Rules (Mach dein eigenes Spiel)“. Hier agieren wetterfeste Spielerinnen, die das Rugby ihres Lebens spielen, sich an Captain „Killing Floor“ orientieren, zusammenhalten und natürlich nur den Sieg im Sinn haben. Nach einem popmäßigen Intro mit Live-Kommentatoren, Elektromusik und Videobildern vom Stadion, das die große Geste des Sports verspottet, geht’s los. Aufstellung, Pässe, punkten. Bald jedoch zeigen sich Risse im Gebälk, die Kontinuität des Sportkörpers bröckelt auseinander. Denn die Spielerinnen sind längst aus der Form, nicht viel mehr als abgehalfterte Witzfiguren, an die niemand so recht glaubt. Auch sie selbst haben ihre Zweifel, die sie jedoch zu überspielen suchen. Hin und her zappelnd zwischen Hoffnung, Illusion und Todesmut erleben sie im Showdown ihr eigenes Aus.

„She She Pop“ spielen im Podewil schonungslos um ihren Raumvorteil. Grauenhaft kostümiert, mit merkwürdigen, aus Jeansfetzen zusammengeflickten Brustpanzern, knallen die sechs Spielerinnen aneinander, laufen auf einen imaginären Punkt zu und durch das Publikum hindurch. Nach der Hälfte des chaotischen Spiels, das die dilettierende Mannschaft gegen die eigene Unzulänglichkeit führt, ertönt die Order „Seitenwechsel“, und die Zuschauer werden aufgescheucht, ihre Plätze zu wechseln. Rote und Gelbe Karten werden im Publikum verteilt, das darf Schiedsrichter sein. Die „Erzählung“, die sich gekonnt hinter der anarchischen Hochgeschwindigkeitsperformance der sieben Frauen und zwei Männer versteckt, könnte heißen: „Sieh jedes Spiel wie das Spiel mit deiner eigenen Angst, das zum inneren Zweikampf gerät.“

„She She Pop“ wollen keine zementierten Bedeutungen, das passt nicht zu ihrem aktionistischem, rollenauflösendem Krachtheater. Schade nur, wenn Theater, das nicht mehr dem Druck des „Sagenmüssens“ unterliegen will, im Spiel aufgeht und wenig sagt. Spaß zu haben ist toll. Gedanken, Ideen, Visionen zu kommunizieren ist auch nicht schlecht. Und das fehlt bei „Rules“. Was als Satire auf den Terror der „Spaßgesellschaft“ gedacht ist, neigt selbst dazu, in jenem Terror stecken zu bleiben.

Auch „Cheap Jewelry“ im Prater kann sich nicht erklären. Das Stück in der Regie von Marc Siegel knallt mit buntem Dekor, hysterischem Schauspiel und vermeintlich provokanten Statements in den Raum. Angeblich will hier über „Glamour und alltägliche Posen recherchiert“ werden. Basis der Regiearbeit ist das Werk des amerikanischen Underground-Künstlers Jack Smith, der in den Sechziger- und Siebzigerjahren Kurzfilme über die glitzernde Verlogenheit Hollywoods drehte. Wahrscheinlich ist ein Besuch der Jack-Smith-Filmnacht im Kino Babylon lohnenswerter.

Vaginal Davis, der als schwarze Drag Queen in „Cheap Jewelry“ mitwirkt, ist allerdings ein Lichtblick der Inszenierung. Im aufreizenden Kleid, das kaum die Hinterbacken der stämmigen Performerin bedeckt und jeden Moment zu reißen droht, stelzt Miss Davis auf Highheels durch künstlichen Präriesand und singt von „Happy Endings“. Später wird sie sich Männer aus dem Publikum herausfischen und deren Zehen lecken. Das kommt gut an, weil das delikat ist und gewagt, weil die Männer rot werden und man froh ist, nicht in ihrer Haut zu stecken.

Ansonsten wird aus dem Innern eines Holzhauses gezetert, gequäkt und geschrien, hin und wieder steckt jemand den Kopf zum Fenster heraus und sagt „Wir schlafen jede Nacht gut, auch wenn wir mit einem Schwanz im Arsch einschlafen.“ Dann tanzt man im Stil der Dreißigerjahre-Revuefilme und führt Travestie als gesellschaftliche Provokation vor. Die verkommt jedoch zur Albernheit, wenn schwule Männer Ballettröckchen tragen.

JANA SITTNICK

„Rules“ heute, 19 Uhr, im Podewil, „Cheap Jewelry“, 21 Uhr im Prater