Mit Minimoog im Park

■ Tausende Techno- und Housesüchtige pilgern heute ins Aladin/Tivoli zu „Vision Park 2001“. Mitveranstalter Marcel Strömer erzählt die Geschichte des Sechs-Stunden-Spektakels

Techno ist gefährlich, er macht wagemutig. Thinking big gilt nicht nur für die Love Parade, sondern heute auch für Bremen. Im Aladin, wo sonst fransenjackige Speckleder-Biker die Wampe zum Rhythmus von Motörhead wippen, werden auf fünf „areas“ 50 DJs bis in den Sonnenaufgang hinein Hemelingen zum Beben bringen. Aber die 50.000 Mark Unkosten wollen erst mal eingespielt werden. Veranstalter sind die „Members of Vision Park“, unter anderem Kolya Beckmann und Marcel Strömer, die eine Hälfte von „FM Stroemer“, die schon mal die Dance Charts ganz nach oben geklettert sind. Zur ersten Ausgabe von Vision Park, letztes Jahr, kamen 2.800 Leute. Diesmal soll die 4.000er-Schallmauer gesprengt werden und zwar mit Szenegiganten wie Nathalie de Borah, weibliche Nr.2 nach Marusha oder mit dem Ruhrpottler Jaspa Jones, der den Dance Award 2000 abstaubte, mit Mayday- und Love-Parade-Teilnahme in den Techno-Olymp aufstieg und eine regelmäßige Radiosendung somewhere in den USA moderiert.

Und schuld an allem sind wie immer die Eltern, konservativ, bodenständig und in einem Winkel der Schwäbischen Alb versteckt. Popmusikhören aus dem Radio war nicht gerne gesehen – könnte ja am Ende Spaß machen. Gehört wurde deshalb nur umso mehr. Aus Marcel sollte was vernünftiges werden, so erhielt er die Ausbildung im Haushaltswaren-Laden Carl Abt im Schatten des Ulmer Münsters – Spezialität: Bohrmaschinen und Beschläge. Damals kannte er zwar die Namen von 35 verschiedenen Schrauben-Sorten, „war aber todunglücklich“. „Und als mich meine ehemalige Deutschlehrerin so hinter dem Verkaufstresen sah, meinte sie: Ich bin enttäuscht von dir, wo du doch immer so schöne Aufsätze geschrieben hast.“ Schreiben tut er noch immer, am liebsten Gedichte und Theaterstücke, im Moment aber vor allem Songtexte fürs neue FM Stroemer-Album, Arbeitstitel „Brothers & Friends“. Zurückkehren zu den Schrauben wird er nicht mehr. Vielleicht versucht er es später mal mit Theater, Musikjournalismus oder einer eigenen Radiosendung.

Sein älterer Bruder war so ziemlich von Anfang an dabei, damals als die Techno-Euphorie, inspiriert von US-Detroit-House, über Deutschland schwappte. Marcel war zuständig für die Dekos auf den ersten Techno-Raves 1992. Vor acht Jahren, schon in Bremen, griff auch er hinein in die Plattenteller. Es gibt wahrscheinlich keinen Bremer Club, in dem die Strömer Brothers noch nicht aufgelegt haben. Sie waren im experimentierlustigen, gammligen ZAKK ebenso wie in der altehrwürdigen Diskothek „Lila Eule“, aber auch in den Hamburger „Docks“, Zürich (Energy Rave), Köln, Berlin, Biberach ... Mit der Zeit verlegten sie sich immer mehr auf's Produzieren und Veranstalten. Sie remixen und basteln unterm Dach der renommierten Hamburger Eastwest Records ihre eigenen Sounds, lokalisiert irgendwo in den Weiten zwischen House, Techno und speed garage. „Das ist spannend, da wird jetzt wieder mehr mit analogen Instrumenten gearbeitet. Und die Leute graben ihre verstaubten Roland 808 und 909, ihre Lin Drummachines und Minimoogs aus, das klingt so schön nostalgisch und warm, fast ein bisschen nach Pink Floyd oder Bee Gees.“ Er selbst träumt zur Zeit vom Einsatz eines Akkordeons, rückwärts geloopt – „hat so was Ziehendes.“

Vor drei Jahren war er dann endlich da, der Überraschungserfolg mit der Single „Morning Light“. Er wurde der Loveparade-Hit1999. Das bedeutet Geld, viel Geld. Ohne sich in Schulden zu stürzen, konnten sich die Brüder ihr ersehntes Tonstudio zulegen – „sündhaft teuer“. Flyer müssen nun nicht mehr im Copyshop zusammengefrickelt werden, sondern kommen aus der Druckerei.

Marcels Stimme leuchtet immer noch wie das Grinsen des Christkinds, sobald er von der Techno-Szene spricht. „Besonders Anfang der Neunziger war das viel mehr als Musik. Wie im HipHop ist es eine Lebensform und ein geschlossener ästhetischer Kosmos mit eigener Kultur, eigenem Flyerstil, eigenen Codes.“ Auch heute gibt es mehr als Musik: Dance performance, Kunstausstellung und ein fulmi-nantes Bühnen-Feuerwerk. Und am liebsten hätte er noch den legendären Jim Avignon geholt zum Live-Graffiti-Malen.

„Früher reizte das Raven an illegalen Orten, ohne Ausschankerlaubnis, ordnungsgemässe Fluchtwege oder Sperrstunde. Die englischen Techno-Nomaden ,Spiral Tribe Soundsystem' lebten mit Kind und Kegel im LKW und fuhren von einem geheimen Aufführungsort zum nächsten.“ Marcel selbst hat noch in Bremens letztem besetzten Haus im Buntentorsteinweg aufgelegt. Aber times are gone. „Ich kenne viele, die wettern über die Kommerzialisierung heutzutage. Aber hätte es die nicht gegeben, hätte Techno nicht mehr den Stellenwert in der heutigen Musiklandschaft. Natürlich sah Vison Park 2000 professionell aus, reich geworden ist dabei aber wirklich keiner. Das ist auch nicht immer wichtig.“

Und noch eine Veränderung: „Früher galt die Losung: Der DJ zählt nichts, wichtig sind die Vibes. Heute legen die Partygänger oft mehr Wert auf den Namen.“ Was geblieben ist, sagt Marcel, ist die Solidarität in der Szene, „die Unity“, und so möchte er mit Vision Park „vor allem eine Plattform – das ist mein Lieblingswort – bieten, für die Bremer DJ-Szene, diese vielen Träumer und Fantasten.“ Die findet Marcel nämlich spannend, nicht ganz so wie in Hamburg, München oder Frankfurt, „aber es gibt auch hier viele kreative Leute“. Zum Beispiel Jens Mahlstedt, „dessen elektronisches Musical für das Hamburger Schmidt-Theater ziemlich innovativ ist“. Auch er kommt heute in den Park.

Für nächstes Jahr gibt es neue Pläne. Vor dem Event eine kleine Love Parade durch die Innenstadt, das wär doch was. „Aber ob wir da die Genehmigung kriegen bei der etwas unterkühlten Bremen Mentalität; lassen wir uns einfach mal überraschen.“ bk

12. Mai 21 bis 9  Uhr mit open-air-Bühne, VVK 28 / AK 40 DM

Vision-Park 2001 – The Compilation 70min / 30 Mark in den Bremer Plattenläden oder bei Undercore 0421-44 20 770

m§fmstroemer.com, www.vision-park.de