Unruhe im Zensur-Labor

Die Zukunft der unabhängigen Medien in Russland, der Ukraine und Weißrussland ist düster. 15 Jahre nach Glasnost bangen auch kleinere Zeitungen und Sender um ihre Existenz – die großen sind längst lahm gelegt. Die Bevölkerung hat andere Sorgen

„Ich sehe erst jetzt, wie zerbrechlich unsere Errungenschaften gewesen sind“

von BARBARA KERNECK

„Mir scheint, dass unser Weißrussland ein kleines Laboratorium ist, in dem vieles zum ersten Mal erprobt wurde, was die Obrigkeit jetzt auch in Russland und in der Ukraine praktiziert.“ Sagt Schanna Litwina, Vorsitzende des unabhängigen weißrussischen Journalistenverbandes, und meint: Das, was Mariana Maksimowskaja, noch bis vor kurzem Moderatorin beim russischen, unabhängig-regierungskritischen Fernsehsender NTW, über den Coup berichtete, bei dem der einzige unabhängige TV-Sender des Riesenlandes von der „Wachtmannschaft“ seines staatlichen Hauptgesellschafters übernommen wurde, erinnere sie sehr an die seit langem üblichen Zustände bei ihr zu Hause.

Offen – und offiziell – diskutieren können die beiden Journalistinnen in ihren jeweiligen Heimatländern ohnehin kaum mehr. Man traf sich daher fern der „Schatten der Macht“ (so der Konferenz-Titel) mit den KollegInnen aus Russland, Weißrussland und der Ukraine in – Berlin.

Geladen zum Austausch über die Situation der Medien in den drei Republiken hatten der Auslandsrundfunk Deutsche Welle, die Friedrich-Naumann-Stiftung und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde. Die Bilanz fiel düster aus: Die Situation der Medien, so der Leiter des Moskauer ARD-Studios, Thomas Roth, werde am besten von einer Kleinanzeige illustriert, die er nach dem NTW-Coup in einer Moskauer Zeitung fand: „Tausche zwei neue Fernsehgeräte gegen alten Kurzwellensender“. – Nicht gleichgeschaltete Medien werden in allen drei großen slawischen Staaten zunehmend von „oben“ mundtot gemacht.

Noch gibt es Unterschiede. Während in Weißrussland schon fast Friedhofsstille herrscht, gibt es in Russland noch viele kleine private Zeitungen und Rundfunksender und einige private Fernsehkanäle – allerdings längst nicht mehr mit wirklich landesumfassender Reichweite. Viele Anwesende befürchteten, dass das Vorgehen gegen NTW im Zentrum nun auch Lokalfürsten ermutigen könnte, gegen unabhängige Sender und Verlage loszuschlagen. Kritische JournalistInnen geraten heute in allen drei Ländern in die Rolle der Dissidenten der Siebzigerjahre.

Und wer sich objektiv informieren will, greift immer öfter auf die guten alten „Stimmen“ zurück, wie zum Beispiel die Kurzwellenprogramme der BBC oder der Deutschen Welle. „Ich sehe erst jetzt, wie zerbrechlich unsere Errungenschaften in der Folge der Glasnost gewesen sind“, sagt Schanna Litwina.

Die oben aufgezählten Parallelen zum kalten Krieg lassen sich noch vermehren, denn die regierungsgesteuerten Medien in allen drei Ländern beschäftigen sich nicht nur mit der Diffamierung ihrer Gegner, sondern auch alles Westlichen. Von „antiwestlicher Hysterie“ sprach ein ukrainischer Teilnehmer, und Alexej Simonow vom Moskauer Fonds zum Schutz der Pressefreiheit fügte hinzu: „Bei uns in Russland existiert im Schoße der Administration des Präsidenten bereits ein Propagandaministerium, nur dass es noch nicht so genannt wird.“

Natürlich gibt es Unterschiede zur Sowjetzeit, die Technik ist raffinierter geworden, die Methoden zur Meinungsbeeinflussung verfeinert. Auch die Methoden, mit denen aufmüpfige Berichterstattung zum Schweigen gebracht werden soll, haben sich geändert. An die Stelle des Zensors mit dem Rotstift ist die so genannte „strukturelle Zensur“ getreten. Das heißt: widerspenstigen Herausgebern und Sendern von oben Lizenzen wegnehmen, die Vertriebskosten willkürlich erhöhen und Unternehmer unter Druck setzen, damit sie kritischen Medien die Werbung entziehen. „Es stimmt schon, dass man in der Geschichte nicht zweimal in denselben Fluss steigt“, sagte dazu ein Teilnehmer. „Doch dieser neue Fluss könnte schmutziger sein.“

Die Berichte der Betroffenen nahmen bisweilen kafkaeske Züge an. So erzählte Sergij Scholoch, Leiter der unabhängigen Rundfunkstation „Radio Kontinent“ in Kiew, wie man ihn kürzlich in ein „regierungsnahes Kabinett“ gebeten habe, weil angeblich bestimmte Schulden nicht beglichen seien. Als er dort freudig berichtete, dass er die Summe mittlerweile erstatten könne, habe man ihm geantwortet: „Wir wollen nicht Ihr Geld, wir wollen Anteile an Ihrem Unternehmen.“ – „Wer ist ‚wir‘?“, habe er gefragt und zur Antwort bekommen: „Gute Menschen!“

In allen drei großen slawischen Staaten könnten die Machthaber die Pressefreiheit kaum bedrohen, wenn nicht ein Großteil ihrer EinwohnerInnen diesem fundamentalen Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten zutiefst gleichgültig gegenüberstünde. Diese geringe Mobilisierbarkeit für demokratische Werte geht einher mit einer zunehmenden Feindschaft gegenüber dem Westen.

In Russland würden Umfragen zufolge sogar 58 Prozent der BürgerInnen die Wiedereinführung einer offiziellen Zensur begrüßen. „Und das ist kein Wunder“, sagt Russlands Presseschützer Alexej Simonow, „denn der gesamte Sowjetpatriotismus war ein Kind einer Informationssicherheit vor allem Unliebsamer. Zehn Jahre in einem Raum der freien Wahl haben für den Alltag der Menschen in unseren drei Ländern nichts gebracht. Wir sind alle Teilnehmer ein und desselben Experimentes: Kann man in einem Raum voller Sklaven frei sein?“