Nachrichten aus dem Dorfbahnhof

■ Das Bremer Bildhauermuseum Gerhard-Marcks-Haus zeigt den beeindruckenden Totentanz-Zyklus des noch unbekannten Klaus Hack und unterfuttert die Arbeiten kunsthistorisch mittels Vorgängern aus fünf Jahrhunderten

Er heißt Klaus Hack und hackt seit zwei Jahren den Tod in Pfähle, und zwar mit Schnitzhandwerkszeug und Motorsäge. Jetzt stehen 23 durchlöcherte Linden- und Pappelstämme im Gerhard-Marcks-Haus. Sie sind etwa 2,50 m hoch. Angeregt zum düstren Treiben wurde Hack durch den Totentanz des Jakob Hiebler von 1602 in der Kapelle des Klosters St. Mang in seiner Heimatstadt Füssen. Und auch Hack verurteilt „Junckfrau“, „Hex“, „Unholdt“, „Kündt“ (Kind) oder „Mahler“ zum Tode und eben keinen Snowboardfahrer, Immobilienmakler oder Softwareentwickler.

Seine Totempfähle benutzt Hack als Druckwalzen. Die schwarze ölige Farbe muss er aber wegen der Krummbuckligkeit der Stämme mit dem Löffel auf die Leinwand drucken – zähe Prozedur. Er tut's gleich zweimal nebeneinander – denn mit dem Sterben hört es schließlich niemals auf. Vermutlich handelt es sich hier um die eigenwilligste Art eines Holzschnittverfahrens in der Kunstgeschichte: Statt Druckstöcken sind's Druckstämme. Durch Größe und Wucht der Bilder wirken die eher kleinen Räume fast klaustrophobisch, und bei warmem Wetter riechen Farbe und Holz ein bisschen nach Pech und Schwefel.

Während in der Kunsthalle nebenan zurzeit mit Rauminstallationen und Videos zum Beispiel eine Theorie der Massenmedien entwickelt wird, beharrt Hack auf einer sympathisch archaisch anmutenden Auffassung vom Künstler als Handwerker. Und er versteht das seine gut. Mit viel Akribie hat er filigrane Gitter ins Holz geschnitzt, vermutlich eine Transformation der Rippen des traditionellen Totenskeletts. Dennoch sind die Bilder nicht gegenständlich. Sie sind aber auch nicht abstrakt, vielleicht trifft es das Wort metaphorisch. Beim „Unholdt“ mag man eine Axt, eventuell auch zwei tote Kinder erkennen, beim „Spieler“ Marionettenfäden, an denen dieser baumelt – aber sicher ist nichts. Der Totengräber bekommt einen verkanteten Kubus: Grab? Sarg? Der Amtmann ist eine Art Flugzeug mit Pfauenwimpeln. Die menschliche Anatomie existiert nur noch als Restahnung – irgendwie passend, wo es doch um Zerfall geht. Dazwischen gotische Spitzbogenkonstruktionen und immer wieder Kreuze – Symbole, die sich wohl aufdrängen, wenn man wie der erst 35-jährige Hack sein Atelier einrichtet in einem stillgelegten Dorfbahnhof im Windschatten Berlins.

Die durch Treppe und Durchgang bewirkte Zweiteilung des Marcks-Hauses bekommt diesmal inhaltlichen Sinn. Im vorderen Ausstellungsbereich nämlich zeigt der neue Chef des Hauses, Jürgen Fitschen, einen grandiosen Abriss der Geschichte des Totentanzes. Und für den gibt es zwei Kernzeiten, nämlich die Zeit vom Mittelalter bis Barock (besonders die Zeit nach der verheerenden Pest 1348) mit ihrer durchgehenden Tradition zynismusdurchsetzter Vanitas-Melancholie und die schwüle Vorkriegsstimmung im Expressionismus.

Die bis zu 59 Meter langen Friedhofs- und Kapellen-Wandfriese in La Chaise-Dieu, Paris, Chur, Basel, Bern, Ulm, Lübeck, Hamburg etc. konnten natürlich nicht ins Museum gewuchtet werden. Zum großen Teil existieren sie auch nur noch als Radierung in miniaturisierter Reproduktion. Eine solche ist hier zu sehen. Da ist der Tod im Verwesungsstadium dargestellt, richtig schön eklig mit heraushängendem Gedärm und ledrigen Hautlappen. Die einfache Botschaft dieses Ringelreihen mit Jung und Alt, Arm und Reich, Bischof, Bäurin, Bierbrauer: Der Tod macht alle gleich.

Seit Hans Holbeins Radierungszyklus „Imagines de Morte“ von 1526, der als Buch weite Verbreitung fand, ist der Tod nicht mehr Schicksal, sondern die Strafe Gottes für uns Sünder. Beim Protestanten Heinrich Aldegrever trifft es bevorzugt den katholischen Gegner, einen protzigen Papst und einen fetten Mönch, der – so die stets moralisierenden Unterschriften – „dumm und undiszipliniert“ lebte. Oftmals ist Adams und Evas Vertreibung aus dem Paradies, durch die der Tod in die Welt kam, vorangestellt. Einmal ist der Baum der Erkenntnis sogar dargestellt als Gevatter Tod. Nicht weniger toll anzugucken wie diese winzigen, offenbar mit der Lupe verfertigten alten Stiche, sind die unglaublich verfrickelten Scherenschnitte des absolut unbekannten Walter Draesner von 1922. Ganz im Unterschied zu Hack lassen er und die anderen Expressionisten den Tod im 20. Jahrhundert wüten, in Bergwerken, Röntgensaal, Revolution. Der Tod des Krieges sieht dort so gruselig aus wie die Ungeheuer in „Alien“. Und wie da ein King-Kong-Skelett mit dem Zeigefinger verspielt gegen ein Flugzeug stupst bis es abstürzt oder deftig ein ganzes Schiff zerfleddert – cool mit der Pfeife im Mund – wirkt apokalyptisch. Fitschen hat den Zyklus aufgespürt im Bestattungsunternehmen Carl Salm, Düsseldorf. Ein gewisser Arminius Hasemann geißelt in seinem Totentanzzyklus von 1921 die grassierende Vergnügungssucht so kurz nach dem Krieg; er tut's wie Dix mit sichtbarer Lust an nackten Frauen. Spätestens seit Sigmund Freud erfreut sich eine nekrophile Verknüpfung von Eros und Thanatos großer Beliebtheit. Sie nimmt eine zentrale Stelle ein im Werk von Horst Janssen und Alfred Hrdlicka. Neben diversen Zyklen gibt es auch ein paar Einzel-Tode. Max Klinger etwa lässt den Knochenmann in melodramatischer Landschaft relaxed in einen See pinkeln. Wusste man gar nicht, dass dieser Symbolist Humor hatte. bk

Bis 8.Juli, Führung jeden Donnerstag 17h, Katalog 39 Mark