Adornos sprichwörtliche Apodiktik

In der FU Berlin ist eine Auswahl der Philosophie-heute-Filme des WDR zu sehen. Die Diskussion mit prominenten Wissenschaftlern gehört dazu

Wer beendet denn heute schon noch Sätze mit einem Ausrufezeichen und benutzt Worte wie „Autoritätsgläubigkeit“?

Wieder einmal sind die Philosophie-Filme des Westdeutschen Rundfunks auf Tournee. Nach Stationen in Köln, München und im hiesigen Kino Central in Mitte, wohin in den letzten beiden Jahren wahre Völkerschaften philosophisch Interessierter pilgerten, ist diesmal eine Auswahl der Fernsehproduktionen an der Freien Universität zu sehen. In Kooperation mit dem Asta der FU ist die Philosophie dorthin zurückgekehrt, woher sie ursprünglich stammt: in den Hörsaal. Ob dies nun eine „Öffnung der Universität hin zur Öffentlichkeit“ darstellt, wie der verantwortliche und die Reihe betreuende Redakteur Ulrich Boehm meint. Oder ob nicht vielmehr der genuine Ansatz von „Philosophie heute“ – die Vermittlung zwischen anspruchsvoller Kost und einem an Häppchen gewöhnten Publikum aufgesteckt wurde, kann nur entscheiden, wer den Weg zur Alma Mater findet. Das Hinterhofflair von Mitte, welches Filmen wie dem Gero von Boehm-Klassiker „Boulevard der Denker – Philosophische Spaziergänge durch Paris“ so gut zu entsprechen schien, ist jedenfalls dahin.

Dafür wird an der Universität, wie es sich gehört, ordentlich diskutiert. Die am dritten Termin vorgestellten beiden Filme über Leben und Schaffen Theodor W. Adornos entfachten einen heißen Disput. „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen“, ein 1989 entstandener Film, der durch seltene Aufnahmen des Lehrmeisters besticht, schnitt in der Gunst des Publikums wesentlich besser ab als der Featurefilm „Wo aber Rettendes ist, wächst die Gefahr auch“. Letzterer hatte sich die „Dialektik der Aufklärung“ vorgenommen und ist an seinem Anspruch gescheitert, die Untiefen der Kulturindustrie angemessen ins Bild zu setzen. Dass er dies auf nur sehr oberflächliche Weise tat, nahmen ihm die bedachten Studenten der Philosophie übel.

Der alte Wort-Bild-Streit: Manches liest sich einfach besser als es ausschaut. Im Vergleich zu einer sich vorwärts tastenden Schnecke oder einem im Käfig auf- und ablaufenden Tiger, Bilder, die das Verhältnis des Einzelnen zu seiner Umwelt charakterisieren sollen, sind im Fernsehinterview locker dahingeplauderte Adorno-Sätze einfach viel suggestiver: „Die Kälte der gesellschaftlichen Monade ist als Indifferenz gegenüber dem Schicksal der Anderen Voraussetzung für menschliche Unterdrückung.“ Zu Recht merkte der zum Termin geladene Gast, Philosophieprofessor Albrecht Wellmer, an, dass jemand von der in den Sechzigerjahren durchaus akzeptierten Radikalität Adornos heute vermutlich weggeschlossen würde.

Zumindest dessen bereits sprichwörtliche Apodiktik wirkt ziemlich unzeitgemäß. Wer beendet schon noch Sätze mit einem Ausrufezeichen und benutzt Worte wie „Autoritätsgläubigkeit“? Gleichwohl vermochte der 1969 gestorbene Kulturkritiker eine ganze Generation intellektuell zu prägen. Und der Bann, den die stets druckreif sprechende Koryphäe auszuüben verstand, scheint noch heute ungebrochen. Das zumindest verraten die Publikumsreaktionen. In ihrer Ablehnung gegenüber der Umsetzung des zweiten Films gehen sie gewissermaßen dem Taschenspielertrick Adornos so zu tun, „als wäre die Wahrheit schon da“ (Wellmer), nachträglich auf den Leim.

Für Redakteur Ulrich Boehm ist solches „Feedback eine einmalige Sache“ und er nimmt es ernst: „Das ist die Auseinandersetzung, die ich suche.“ Die Beanstandung bestimmter, durch den Filmschnitt geschaffener semantischer Verbindungen wie etwa Sadismus und Auschwitz, bezeichnet er selbst als „entlarvend für den Film“. Andererseits kennt er sein Publikum und weiß, dass bestimmte mediale Vermittlungsformen nicht überall in gleicher Weise geschätzt werden. Und so verstehen sich die Produktionen eher als journalistische Annäherung an einen Philosophen oder einen philosophischen Gegenstand denn als profunde Abhandlung. Die Herausforderung liegt in den Augen des Fernsehmanns darin, sowohl ein unbedarftes Publikum mit Philosophie zu konfrontieren als auch das „Selbstverständnis der Philosophie bezüglich der Öffentlichkeit“ zu hinterfragen.

Leider hat „Philosophie heute“ einen schweren Stand. Zur Hochzeit der Sendereihe, die seit 1996 weder festen Etat noch Sendeplatz beim WDR hat, ist monatlich ein Film zum Spottpreis von etwa 45.000 Mark entstanden. Mittlerweile ist es schwierig, überhaupt noch Gelder zu akquirieren. Quotendruck. Für ein gerade in Vorbereitung befindliches Feature über Freuds Traumdeutung ist die Finanzierung jedoch gesichert.

Die Filmreihe an der FU läuft noch bis zum 11. Mai und zeigt Porträts von Levinas, Habermas und Apel sowie den berühmten Mehrteiler „Gadamer erzählt die Geschichte der Philosophie“. HELMUT MERSCHMANN

Infos im Internet: www.wdr.de/tv/philosophie. Veranstaltungen an der FU noch bis 11. Mai. Wiederholungen im ORB vom 7. bis 18. Mai