Verklärte Geschichten

Der Axel-Springer-Verlag nennt es Aufarbeitung der Vergangenheit. Manfred Bissinger spricht von einem Rückfall in alte, aggressive Zeiten

von RALF GEISSLER

Der Axel-Springer-Verlag kneift. In den vergangenen Wochen druckte Springers Welt seitenweise Texte, die belegen sollten, dass die Kampagnen der Achtundsechziger gegen den Verlagsgründer von der DDR gesteuert wurden. Dass die Welt jetzt zumindest eine entscheidende Behauptung ihres Kronzeugen Hubertus Knabe zurücknehmen muss, war dem Blatt gestern ganze acht Zeilen wert. Das Hamburger Landgericht hat Knabes Ansicht kassiert, bei der 1967 erschienenen einflussreichen „Axel-Springer-Story“ des Stern habe die DDR ihre Finger im Spiel gehabt.

Doch Knabes Thesen über die Verwicklung von Stasi, Studentenbewegung und westdeutschen Journalisten waren für den Axel-Springer-Verlag ein gefundes Fressen. Zwar stand der erste Vorabdruck aus seinem Buch „Der diskrete Charme der DDR“ (siehe taz vom 2. Mai) in der FAZ, doch der Historiker passte in den laufenden Selbstfindungsprozess der Welt als konservatives Konzernflaggschiff – und kam zur Verklärung der Verlagsgeschichte wie gerufen.

Auch Manfred Bissinger, 1967 Autor der Axel-Springer-Story, der gemeinsam mit dem Stern die einstweilige Verfügung erwirkt hat, glaubt, dass sich Springer wieder zu einem kämpferischen Meinungsmacher der Konservativen wandelt. „Der Axel-Springer-Verlag wird wieder das aggressive Presseunternehmen, das er schon einmal war“, schimpft der Gründer und Herausgeber der Woche. Dazu passt, dass Axel Springers einstiger Vertrauter Peter Boenisch aus dem Springer-Aufsichtsrat ausscheiden wird. Boenisch war zu APO-bewegten Zeiten Chefredakteur der Bild. Doch das Boulevardblatt kämpft derzeit nicht in der ersten Reihe: Während die Welt Anfang diesen Jahres kräftig gegen Joschka Fischer mobil machte, schrieb der einstige Bild-Chef im Januar an prominenter Stelle Versöhnliches in seinem Blatt: „Fischer war wie er war, und er ist, wie er ist. Heute entscheiden allein seine diplomatischen Ergebnisse und nicht die Bilder aus einer beiderseits gewalttätigen und hasserfüllten Vergangenheit.“

Das Eingeständnis, an den Straßenkämpfen von 1968 Mitschuld zu tragen, ging einigen führenden Springer-Mitarbeitern offensichtlich zu weit. Ab dem 27. Juni ist der Aufsichtsrat Boenisch nur noch Springer-Kolumnist. Mehrheitsfähig an der Konzernspitze ist also wieder die These vom guten Verlagsgründer, der in den Sechzigern ein Opfer der DDR-Propaganda wurde, die über ihre Stasispitzel und Sympathisanten im Westen die Kampagnen der Achtundsechziger angheizt hatte.

Wer in diesen Tagen bei Manfred Bissinger anruft, um mit ihm über das Verhältnis der Achtundsechziger zur DDR zu sprechen, gerät an einen empfindlich getroffenen Menschen: „Ich habe nie mit der DDR zu tun gehabt“, wehrt Bissinger jede Diskussion ab. „Mir sind die immer auf den Wecker gegangen.“ Bissinger ist bei dem Thema so sensibel, dass er jeden, der ihn zu Knabes Vorwürfen befragt, sofort als Springer-Sympathisanten in die konservative Ecke stellt.

Bissinger steht heute noch zu seiner Springer-Story. Über die Rolle des Verlegers beim Bau der Berliner Mauer schrieb er 1967, der Konzernherr „zieht gegen alle zu Feld, die auf eine Ost-West-Verständigung setzten. Der Verleger hämmerte Millionen Deutschen Tag für Tag ein, militanter Antikommunismus sei die einzige Möglichkeit deutscher Ostpolitik.“

Und weiter: „Die Zeitungen des Papierkriegers aus Hamburg gelangten zu dieser Zeit noch zu Zehntausenden Tag für Tag über die Zonengrenze nach Ostberlin und in die DDR. Sie heizten dort die Stimmung gefährlich an und förderten die Massenflucht. DDR und Ostblock wurden – wollten sie nicht das Gesicht auch im eigenen Lager verlieren – gezwungen, dem Einhalt zu gebieten. Das führte schließlich zu dem stillschweigenden Einverständnis zwischen Moskau und Washington über den Bau der Mauer.“

„Springer hat damals maßlose Hetze entfaltet. In meinem Artikel wird das mit Zitaten belegt. Die haben jeden Tag mit riesigen Lettern die Flüchtlingszahlen veröffentlicht und die Stimmung angeheizt“, so Bissinger heute.

Der Woche-Chef hat seinen Prozess gewonnen und muss sich nicht länger vorwerfen lassen, bei seinem Text habe die DDR ihre Finger im Spiel gehabt. Das Urteil passte der konservativen Welt so wenig ins politische Konzept, dass die Redaktion ihre Kurzmeldung darüber süffisant mit „DDR-Unrecht“ überschrieb.