Arroyo droht mit Kriegsrecht

In zwei Wochen wird sich zeigen, wie viel Unterstützung die Präsidentin hat. Dann wird nämlich gewählt, zum ersten Mal seit dem Sturz ihres Amtsvorgängers Estrada. Der Machtkampf der letzten Tage zeigt die tiefe Spaltung der Gesellschaft

von JUTTA LIETSCH

Nach den heftigsten Straßenschlachten seit 15 Jahren herrschte in der philippinischen Hauptstadt Manila gestern Morgen wieder gespannte Ruhe. Über Rundfunk und Fernsehen drohte Präsidentin Gloria Macapagal Arroyo mit dem Kriegsrecht, falls es wieder zu gewalttätigen Protesten komme. „Sie sollen mich nicht reizen“, sagte sie über die Anhänger ihres im Januar gestürzten Vorgängers Joseph Estrada, die nach seiner Verhaftung letzte Woche versucht hatten, den Präsidentenpalast zu stürmen.

Die Proteste hatten am Dienstag ihren Höhepunkt erreicht: Mehrere Menschen starben, über hundert wurden verletzt. Die Regierung rief die „Notlage“ wegen drohender Rebellion aus, die es ihr erlaubt, das Militär gegen Demonstranten einzusetzen und die Anführer der Proteste ohne richterlichen Beschluss bis zu drei Tage lang festzuhalten. Diese „Notlage“ ist schwächer als das angedrohte Kriegsrecht, dazu gehört zum Beispiel keine Ausgangssperre.

Drei der elf Oppositionspolitiker, gegen die Arroyo Haftbefehl erlies, stellten sich bis gestern der Polizei. Sie stritten ab, die Massen aufgehetzt oder gar einen Putsch geplant zu haben. Arroyo drohte, man werde auch Geschäftsleute festnehmen, die die Proteste der letzten Tage finanziert hätten.

Damit wollte Arroyo ganz offensichtlich sagen, dass die randalierenden Estrada-Anhänger dafür bezahlt worden waren, gegen den Malacanang-Palast zu marschieren. Das ist auf den Philippinen durchaus üblich.

Allerdings erklärt das nicht allein, warum die Proteste so heftig wurden. Die Ereignisse der letzten Tage werfen vielmehr ein grelles Licht auf den Machtkampf, der in diesen Tagen in Manila herrscht, und auf die tiefe Spaltung in der philippinischen Gesellschaft:

Denn in weniger als zwei Wochen, am 14. Mai, finden wichtige Senatswahlen statt. Bei dieser ersten Wahl seit dem Sturz Estradas wird sich herausstellen, wie stark der Rückhalt eigentlich ist, den die durch eine umstrittene „People Power“-Bewegung ins Amt katapultierte Ex-Vizepräsidentin und ihre neue Regierung haben.

Die Ökonomin Arroyo gilt in der philippinischen Mittelschicht und bei ausländischen Investoren als intelligente Politikerin, die ernsthaft versucht, die marode Wirtschaft zu sanieren – ganz im Gegensatz zu ihrem korrupten Vorgänger, der sich seine Nächte trinkend und Mahjong spielend um die Ohren geschlagen hatte und die Regierungsgeschäfte als überflüssige Last ansah.

Doch in großen Teilen der Bevölkerung ist Arroyo bis heute nur ein Spross der alten philippinischen Elite, die für die Armen nie viel mehr als Verachtung übrig gehabt hat. Die Versprechen der neuen Präsidentin, mit der Korruption aufzuräumen, glaubt niemand: Denn auch in Arroyos Regierung und unter ihren Beratern sitzen notorische Gauner.

Zum Beispiel Provinzgouverneur Luis Singson: Der Mann hatte im vergangenen Herbst öffentlich zugegeben, dass er Chef eines illegalen Glückspielsyndikats sei und Estrada Schmiergelder in Millionenhöhe zugesteckt hat. Arroyo steckte ihn dafür nicht etwa ins Gefängnis, sondern machte ihn zu ihrem Regierungsberater – für die staatliche Lotterie.

Da hilft es auch nicht, dass Kardinal Jaime Sin der frommen Katholikin Arroyo am Dienstag seinen Segen gab. Auch unter einer anderen frommen Präsidentin, Corazon Aquino, hatte sich das Leben des größten Teils der Bevölkerung nicht verbessert, da mochte sie so viel beten, wie sie wollte.

Estrada hat sich immer als einfacher Mann dargestellt, der – wie in seinen Filmrollen aus der Zeit als Schauspieler – für die Armen kämpft und sich gegen die hochnäsige Elite wehrt. Daran stimmte nur so viel, dass Estrada versuchte, seinen eigenen Geschäftsfreunden Aufträge zuzuschanzen, und damit den eingesessenen Unternehmern in die Quere kam. Dennoch ist es nicht verwunderlich, dass viele seiner Anhänger, die aus Slums von Manila stammen, ernsthaft empört über die Behandlung Estradas nach seiner Verhaftung waren, als die Polizei ihm vor laufenden Kameras die Fingerabdrücke genommen und Fotos für die Verbrecherkartei schoss.

Der ehemalige Präsident wird beschuldigt, in den 31 Monaten seiner Amtszeit umgerechnet mehr als 160 Millionen Mark aus Bestechungsgeldern und illegalen Provisionen in die eigene Tasche gewirtschaftet zu haben. Estrada, der alles abstreitet, und sein Sohn Jinggoy waren vor einer Woche verhaftet worden.

Bei den Wahlen am 14. Mai werden 13 der 24 Senatoren neu bestimmt, außerdem werden über 3.500 politische Ämter vom Landrat zum Provinzchef neu besetzt. Auch die in der Bevölkerung populäre Ehefrau Estradas kandidiert für einen Senatorenposten – wie viele seiner politischen Freunde.