Kleinstädter im Champagner-Trüffel-Rausch

■ Zu einer Lesung bringt heute Alex Capus sein Buch „Mein Studium ferner Welten“ aus dem schweizerischen Olten in die norddeutsche Tiefebene mit

Wie können Kleinbürger der Ödnis ihres Krähwinkels entgehen, in dem „Menschen nur deshalb Kinder zeugen, weil die Hausordnung das Halten von Hunden und Katzen verbietet“? Sie träumen von einer Existenz fernab ihres alltäglichen Schubladendaseins, weg von dem Rollenverhalten, das die Spießbürger-Gesellschaft ihnen abverlangt.

Max Mohn hat Karriere als Nachrichtenredakteur gemacht. Erniedrigt von seinem salbadernden Boss Mischbecher, träumt Mohn davon, dass er berühmt, reich, jung und umschwärmt wie Jerome D. Salinger sei. Der aalige Mischbecher in Mephisto-Gestalt erfüllt ihm diesen Wunsch; im Traum ist die Befreiung aus der Tretmühle möglich.

Der Konditorsohn Johnny Türler zog als Abenteurer über die Weltkontinente, um der Erbfolge der heimischen Pralinenproduktion zu entgehen, doch von den hochfliegenden Freiheitsidealen sind nur Tätowierungen geblieben. Dem Heimkehrer, dessen Haut ein „lebendes Bilderbuch“ ist, bleibt nur der Traum von einer flammenden Rede vor den Baulöwen, die ein stereotypes Parkhaus vor des Konditors Haustür setzen wollen.

Alice, während der Kartoffelernte unehelich produziert von einer gebärfreudigen Bäuerin und einem südländischen Tagelöhner, ist durch ihre kleinstadtfremden Gene ein Paradiesvogel. Sogar der stiefväterliche Hahnrei merkt auf und wünscht sich, dass „es noch etwas anderes gebe als das ewige Einerlei von Aussaat, Niederkunft und Fäulnis“. Alice ist tanzbesessen, wirkt mit ihrem Bubikopf und den ellenlangen Papirossy wie „Carmen, Mata Hari, Anna Karenina, Julia auf dem Dorfe und Julia in Verona“. Doch die hehre Selbsttäuschung zerrinnt, als sich ihr Tanzpartner nach der Heirat als schwul erweist und aus Gram stirbt.

Selbst der Untertitel des Episodenbündels von Capus ist Trug: „Ein Roman in 14 Geschichten“ deutet auf die schwachen inhaltlichen Schweißnähte des Opus hin. Die Verkettung erfolgt mehr über Motive, wie die Schokoladentrüffeldunstglocke Türlerscher Provenienz, die die Kleinstädter umnebelt und betäubt. „Verklebt mir das Gehirn“, meint Hannes, ein Jugendfreund Max Mohrs.

Bei Alex Capus, wie bei seinem Alter Ego Max Mohn, „gerät alles zu einer Geschichte“, was das schlaglichtartige Auf- und Abtauchen der Erzählstränge erklärt. Und wenn Robert Altman jemals eine Fortsetzung zu seinen Short Cuts im Kanton Solothurn drehen wollte, hätte er immerhin eine Vorlage.

Frank Schönian

Lesung heute, 19.30 Uhr, Buchhandlung Seitenweise, Hammer Steindamm 119

Alex Capus: Mein Studium ferner Welten, Residenz Verlag, 206 S., 34 Mark