Theater direkt aus der Erde

■ Bei „Romeo und Julia“ auf Koreanisch versteht man sehr viel mehr als nur Bahnhof. Denn die „Mokwha Company“ macht die Tragödie auch mit Kampfkunst, Tanz und Musik verständlich

Er sieht sie. Sie sieht ihn. Beide sind entzückt von dem Zauber des Anderen. Es ist Liebe auf den ersten Blick, ein so intensiver Ausdruck in den Augen, der mehr sagt, als tausend Worte je an Sinn ergeben würden. Auf das gesprochene Wort ist kein Verlass. Wer sich darauf verlässt, ist verlassen – zumindest derjenige, der kein koreanisch beherrscht. Denn der koreanische Regisseur Tae-sok Oh hat seine Inszenierung von Shakespeares „Romeo und Julia“ für die heutige deutsche Erstaufführung in der Bremer Shakespeare Company nicht übersetzt.

Trotzdem versteht der Zuschauer viel mehr als nur Bahnhof. Das mag zum einen daran liegen, dass das Stück sehr bekannt ist. Zum anderen liegt es an der Ausdruckskraft der Schauspieler. „Es gibt uralte Verständigungsmittel, die hinter der Sprache liegen“, so Tae-sok Oh. Dazu zählten der Blick, Gestik und Mimik. „Diese Faktoren sind meiner Meinung nach viel wichtiger als die Sprache, die im europäischen Theater im Gegensatz zum asiatischen mehr im Vordergrund steht.“

Getreu dem Motto weniger ist mehr, können sich die Zuschauer durch das Nicht-Verstehen der Sprache auf das Wesentliche konzentrieren, der eigenen Phantasie freien Lauf lassen, anstatt sie durch Buchstabenketten in ein Wortkorsett zu drängen. Aber Wörter entspringen auch der Quelle geistiger Imagination. Manche sind wahre Meister im Formulieren. So wie „Romeo und Julia“ in ihren bekannten romantischen Dialogen, die wiederum sicher schon so einige Liebhaber inspiriert haben. Nicht anregend sondern schlicht hilfreich wäre die Sprache gewesen, um so manche Komik im Stück zu verstehen – nicht alles kann mit Körpersprache ausgedrückt werden.

Obwohl Tae-sok Oh mit den koreanischen Kostümen und den Mitteln der traditionellen Kampfkünste sehr bildlich zu beschreiben vermag. Liebeszenen wirken anmutiger, Kampfhandlungen kraftvoller als im „normalen“ Theater, obwohl diese eher angedeutet als direkt ausgeführt werden. Das mag daran liegen, dass es im asiatischen Theater kaum eine Trennung der Künste in Musik, Tanz und Drama gibt. „Die Schauspieler holen die Kraft und Energie direkt aus der Erde und übertragen diese mit ihren Bewegungen auf das ganze Publikum“, so Tae-sok Oh. Damit der direkte Draht zwischen Erde und Protagonist gewährleistet ist, trägt das Ensemble der Mokhwa Repertory Company weder Socken noch Schuhe.

Die Musik tut ihr übriges – mal lockt sie mit zarten Klängen, die an Panflöten erinnern, beispielsweise wenn Julia ihren Geliebten empfängt, mal dominieren Trommeln das Geschehen, wenn auf der Bühne kriegerische Handlungen angedeutet werden. So oder so, die Musik trifft die Stimmung.

Den Zuschauer mag hier das Ende überraschen. Während bei Shakespeare schon im Prolog klar ist: „Das bittre Los, das über sie („Romeo und Julia“) verhängt, Sargt, als sie tot, der Eltern Hass mit ein“, siegt bei Tae-sok Oh der Hass. Über dem Grab der Kinder kämpfen die Familienoberhäupter weiter. „Romeo und Julia wollten die Überwindung einer über 300 Jahre alten Geschichte mit ihrer Liebe“, so der Koreaner. „Aber wegen der Schuld der Erwachsenen mussten die jungen Leute sterben – ohne damit irgendetwas erreicht zu haben.“ Damit spiele er auch auf die Situation in Korea an. „In Korea haben in den vergangenen hundert Jahren sehr viele junge Menschen für die Unabhängikeit gekämpft und sind im Krieg gestorben. Nord- und Südkorea sind noch immer verfeindet.“ Aber: „Die Liebe sollte siegen, nicht der Hass.“ Ein Stück zum Nachdenken, im Großen wie im Kleinen. Und ein Stück zum Diskutieren – mit Worten natürlich.

Sörre Wieck

„Romeo und Julia“ ist am 26. April um 20 Uhr, sowie am 27. und 29. April jeweils um 19.30 Uhr im Theater am Leibnizplatz zu sehen.