Kinofreaks mit Teddybär

■ Ein Leckerbissen für Cineasten: Am Freitag kommen zwei alte verdiente Recken des Filmjournalismus ins Rat&Tat-Zentrum. Schwul und glücklich sind sie auch noch

Hans Stempel und Martin Ripkens sind schon 75 bzw. 67 Jahre alt (was sie übrigens erst mal augenzwinkernd verschweigen, den Leser dann aber doch ausrechnen lassen). Aber wegen ihrer scheinbar harmlosen Liebenswürdigkeit wirken sie auf dem Umschlagfoto ihrer druckfrischen Autobiografie so, als wären „Konrad und Paul“ aus den Comicpanels Ralf Königs ins wahre Leben herausgetreten. Und wie bei König gibt es denn auch in ihrem Buch keine tranigen Outinggeschichten und Nachtgedanken von Gehetzten, sondern ganz normalen bürgerlichen Alltag. Allerdings einen der spannenden Sorte.

Die beiden nämlich waren lange Zeit mitverantwortlich für das, was unsereins in der Spätschiene des ZDF früher mal sehen konnte. Sie halfen nämlich Leo Kirch, sein Filmrechte-Imperium aufzubauen, und sichteten in seinem Auftrag schon in den 70er Jahren die Filmarchive von Prag, Warschau, Budapest und Moskau oder die von Los Angeles und Tokio. Dabei zogen sie viele Raritäten aus den Regalen, die sich schon früh mit Prag 1968 auseinander setzten oder das Verschwinden traditioneller Familienbande in Japan betrauern.

Auf Seite eins umkreist der Leser aber erst mal mit Martin Ripkens alias MR das Schwulenklo an einer Düsseldorfer Bushaltestelle; zum zweiten Mal, ein wenig verschämt, in der Hoffnung, dass dieser andere Mann mit dem beschissenen Anzug und den wunderschönen Augen endlich mal Interesse signalisiert. Das war 1957. Schon vier Seiten später bewohnen MR und HS (Hans Stempel) eine Bude, was sich bis auf den heutigen Tag nicht ändern sollte: So was nennt man zügiges Erzählen.

Diese Schnörkellosigkeit ist möglich, weil das Buch kein Entwicklungsroman mit tiefenpsychologischem Geständnischarakter sein will. Vielmehr pflückt es mit der Gelassenheit eines Pilzesammlers die launigen Anekdoten von Menschen, die gut gelaunt und neugierig durchs Leben schippern. Diese lockere Reihenform ermöglicht es, dass sich beide mit den Kapiteln abwechseln. Und nur erstaunlich selten drängt sich dieser „Rashomon“-Effekt ein, der besagt, dass unterschiedliche Menschen die Welt grundsätzlich verschieden sehen. Tun MR und HS nicht.

Und es stört auch nicht, wenn ein Thema zweimal auftaucht. So erzählt HS auf Seite 35, dass er ein Film-Interview machen konnte mit Ingmar Bergman, ausgerechnet nachdem sein skandalträchtiger, zensierter Film „Das Schweigen“ herauskam. Als Honorar erbat sich Bergman übrigens horrende 3.000 Mark, aber nicht für sich, sondern für die algerischen Unabhängigkeitskämpfer der FLN. Und auf Seite 83 erklärt der andere, MR, dass er in seiner ZEIT-Rezension von „Das Schweigen“ den religiösen Aspekt zu sehr in den Vordergrund stellte.

Die beiden waren nicht selten mitten im Zentrum des cineastischen Treibens in Deutschland. Sie schrieben für die ersten relevanten Organe der BRD, den katholischen „Filmdienst“ und Enno Patalas legendäre „Filmkritik“. Sie waren schwer ergriffen von Kenneth Anger, der mit seinen krachialkitschigdüsteren Kurzfilmen die so genannte Schwulenästhetik prägte oder von dem wiederentdeckten Stummfilmklassiker „Freaks“ von Tod Brownings – eine Hymne aufs Außenseitertum. Sie tranken in den späten 60ern ihr „laues labriges Münchner Bier“ (die einzige ärgerliche Stelle im Buch) zusammen mit Alexander Kluge, Edgar Reitz, Peter Schamoni.

1967 schneite Rainer Werner Fassbinder mit seinem Erstlingswerk in ihren Vorführraum; sie winkten ab; was sie allerdings wieder gutmachen konnten, indem sie sich als Mitglieder der Berlinale-Jury für Fassbinders „Liebe ist stärker als der Tod“ stark machten. Und wo waren sie im Mai 68? Genau in Paris. 1979 interviewten sie den wichtigen türkischen Filmemacher Yilmaz Güney in seiner Zelle auf der Gefängnisinsel Imrali, und und und.

Dieser Berg an Zeitgeschichte läuft aber witzigerweise eher am Rande mit. Viel lieber erzählen die beiden von der Tasse Kaffee auf der Piazza Navona in Rom, vom Ausblick aus diesem und jenem Hotelzimmer, von einem Klaus-Mann-Gedächtnisbesuch in der legendären Schwulenbar „Zanzi“ in Cannes, die Mann – vermutlich vergeblich – aufsuchte, einen Tag bevor er sich umbrachte. Und last but not least vom geliebten Teddybären, den sie unterm Moskauer Hotelbett liegen ließen. Eine 15-seitige Hymne auf ihre Reisekoffer gibt es auch.

Und alle 20 Seiten streunen dann jene Detlefs, Juans oder Thomase durchs Buch, die sich beide immer mal wieder gegenseitig gönnen, eine Nacht lang, im Park, in der Sauna, in der Bar. Klingt nach Glücksfall. bk

Am Freitag, 27. April, lesen Stempel und Ripkens im Rat&Tat-Zentrum, Theodor-Körner-Str. 1 aus ihrer Autobiografie „Das Glück ist kein Haustier“, Deutscher Taschenbuch Verlag, 28 Mark