Die Stärkste flog

Industrielle Fernsehproduktion, hautnah erlebt – Wer sich hineinwagt in Sonja Zietlows „Der Schwächste fliegt“, lernt vor allem: Fernsehen ist Lüge

von FRAUKE LÜCHOW

Morgens, halb acht, Mercure-Hotel Severinshof in Köln. Die Fenster waren recht schalldurchlässig, der Schlaf war kurz, das Frühstück lecker. Nun stehe ich vor der Rezeption und warte darauf, nach Hürth gefahren zu werden – zur Produktion der Quizshow „Der Schwächste fliegt“. Carolin von der Castingagentur Mediabolo ist auch schon da, genauso wie Marten und Renate, zwei meiner Mit- bzw. Gegenspieler.

Im Studio erwarten uns belegte Brötchen und Süßigkeiten, die Betreuung ist perfekt. Alle neun Kandidaten sind erschienen, der Ersatzkandidat ist etwas enttäuscht, aber es kann ja sein, dass sich noch jemand ein Bein bricht.

Angie erklärt uns rund eine Stunde lang noch einmal die Spielregeln, warnt uns vor den manchmal fiesen, obwohl bereits abgeschwächten Kommentaren der Moderatorin, erläutert uns einzelne Bewegungsabläufe. „Am besten erst den Stift nehmen und aufmachen, dann die Schreibtafel, denn sonst kommt man ins Rotieren.“

Weiser Rat, wie sich später zeigen soll. Dann ein Päuschen, man lernt sich kennen und findet sich sympathisch. Marten, unüberhörbar aus Hamburg, und Elke, Hausfrau und Mutter vom Nürburgring, sind schon alte Hasen im Showgeschäft: Beide waren bei „Cash“ im ZDF, Elke außerdem bei „Multimillionär“ auf RTL 2, Marten bei „Jeder gegen Jeden“. Es wird über Moderatoren und Gewohnheiten der Maskenbildner getratscht. Götz, Lkw-Fahrer aus Brauweiler, zeigt besondere Sympathien für Sonja Zietlow, die uns nachher quälen wird.

Als Nächstes kommt die Kostümbeauftragte zum Zuge. Renates Oberteil ist zu klein kariert, Elkes zu schwarz, die Männer sehen zu gleich aus. Es wird gebügelt und umgezogen, dann geht’s in die Maske. Als die nette Frau aus Osteuropa mit dem kräftigen Lippenstift anrückt, bricht mir der Schweiß aus. Aber das Ergebnis ist erträglich, es wird mir nicht so gehen wie Elke bei „Cash“, als sie ihre Bekannten im Fernsehen nicht erkannt haben. Nach üppiger Grundierung und Bepuderung traut man sich keine Mimik mehr zu – es könnte abblättern.

Nun der so genannte „Indikativ“ im Raum mit den gelben Sofas. Es werden „Shots“ von uns gemacht, die nachher den Vorspann der Sendung bilden. Wir sollen reden und in Zeitungen blättern. Marten fragt uns aus einem Rätselbuch ab, und wir diskutieren die Lage des Toten Meers.

Danach zwingt man uns zum letzten Klogang, denn bei der zweistündigen Aufzeichnung gibt’s solchen Luxus nicht mehr.

Das eigentliche Abenteuer beginnt. Bei der persönlichen Vorstellung klopft das Herz dann doch bis zum Hals, das Auge der Krankamera ist ungnädig auf mich gerichtet. Dann kommt sie, Sonja, und die Show beginnt. Wir quälen uns von Runde zu Runde. Oliver, 35-jähriger Student aus Albstadt, weiß sicher nicht wenig, sagt aber Warze statt Hühnerauge, macht noch weitere Fehlerchen und fliegt in der ersten Runde raus. Es folgt die nette, aber ziemlich nervöse Renate aus Berlin, die uns in den Wahnsinn treibt, weil sie nicht blockt. Unsere Ergebnisse sind mau, was natürlich nur an den doofen Fragen liegt. Jede arme Sau, die gehen muss, muss dies zweimal tun – der „Walk of Shame“ will von allen Seiten aufgenommen sein. Fernsehen ist Lüge.

Wenn wir unsere Nominierung auf die Tafel gekritzelt haben, müssen wir in der Luft immer weiter schreiben, weil fünf Kameras alle Kandidaten dabei filmen sollen. Manchmal dauert dies minutenlang, so dass ich mich irgendwann frage, ob wir gleichzeitig als Deppen für „Verstehen Sie Spaß“ herhalten. Wir bekommen Routine – Runde, Pause, Runde, Pause. In den Pausen entweder trinken oder sitzen, beides ist zu viel verlangt. Irgendwann fällt der Computer aus, da dauert’s länger. Meine Konzentration lässt nach, ich höre bei der Frage nach dem SFB nicht richtig zu und erzähle was vom Süddeutschen Rundfunk – für eine Publizistikstudentin aus Berlin ein äußerst peinlicher Fauxpas.

Eine weitere Verzögerung wird von den Kandidaten provoziert: Es gibt eine kleinere Diskussion um die Frage, ob Rudi Völler oder Berti Vogts Nachfolger Christoph Daums als Trainer bei Leverkusen ist. Ich befürchte schon eine Wiederholung der Runde, doch die Regie windet sich mit dem nicht vorhandenen Trainerschein Völlers geschickt aus der Zwickmühle.

Schließlich sind wir nur noch zu dritt, und ich muss dringend austreten. Die Betreuer gucken ratlos, ich versichere, dass ich bis zum Finale noch aushalten könne. Doch dann ist es für mich sowieso vorbei: Ich vergesse leider, dass nach der letzten Runde die Taktik wechselt und man den Stärksten nominieren sollte, um mit dem Schwächeren im Finale zu sein. Es herrscht Gleichstand bei den Nominierungen, und Markus, Musikbibliothekar aus Schießmichtot, schmeißt als der Rundenstärkste mich raus und nicht Götz. Immerhin weil ich ihm zu gut bin. Ich strebe schon zur Tür mit dem großen „D“, da werde ich noch zum Raum fürs Statement gelotst. Eine Sieglinde versucht, mir Hass auf Markus zu entlocken, doch ich habe leider nur Verständnis, obwohl ich doch gerne eine Frau im Finale gesehen hätte. Sieglinde scheint zufrieden. Dann ist alles vorbei, Markus gewinnt, obwohl er noch nicht einmal den Erfinder der Blindenschrift kennt.