village voice
: House in Moll: Glory B.’s Album „Sunday Island“

Komplex ist besser

Gute Musik findet ihren Platz. Im Fall der Ex-Wiener und Wahlberliner Produzenten Michael Peter (Duke) und Martin Retschitzegger (Tin) war das zunächst ihr Debüt als Memory Foundation auf M-Plant, dem Label des Detroiter Techno-Produzenten Robert Hood im Jahr 1995.

Damals veranstaltete Retschitzegger den Space Jungle Club im Wiener U4. Hood war für einen DJ-Termin eingeladen worden. Die Zeit vor seinem Auftritt nutzten die beiden, um ihm ein paar Tracks vorzuspielen. Hood war begeistert, und obwohl die Stücke nicht so recht ins Hoodsche Minimaluniversum passten – zu komplex, zu dubbig –, war der Deal perfekt. Den Rücken prominent gestärkt, gründeten Peter und Retschitzegger noch im selben Jahr das Techno-Label Central.

Und zusammen mit dem befreundeten Wiener Produzenten Jeremiah rief Retschitzegger nur kurze Zeit später das House-Label Grow! ins Leben. Ihren verschiedenen musikalischen Vorlieben Ausdruck verleihend, ließen Peter und Retschitzegger sich nicht lumpen und brachten es bis heute auf an die 50 Veröffentlichungen unter (mindestens) sieben verschiedene Projektnamen oder Identitäten.

Veröffentlichten die beiden eher dunkel schimmernde, sehnsüchtig-technoide Abstraktionsfunktracks, nannten sie sich erfahrungsgemäß Ratio, The Skinless Brothers, The Memory Foundation und Die Rhythmiker. Die Namen Glory B., The Last Discosuperstars und Hi-Lo reservierten sie sich dagegen für die deeperen und houseartigen Produktionen.

So beliebt die Strategie des Identitätswechsels je nach Laune und Musik gerade bei Produzenten elektronischer Tanzmusik auch ist, so übertrieben scheint hier dennoch die Anzahl verschiedener Pseudonyme.

Genau genommen fällt eigentlich auch nur das House-Spaß-Projekt The Last Discosuperstars, eine Kooperation mit Jeremiah, völlig aus dem Rahmen. Dem Charme dieser karnevalesken Konfettikanone aus Stampf-Disco-Sample-Übertreibungen mochte dann auch nicht jeder erliegen, obwohl die Superstars in einem Housecontest, zu dem es aber wohl nie kommen dürfte, die tatsächlichen französischen Superstars Daft Punk wie zahnlose, sabbernde Tiger aussehen lassen würden. Schade. Gerechte Herrscher im Kosmos multipler Identitäten waren Peter und Retschitzegger übrigens auch nie: Manche Projekte wurden gehätschelt, andere sträflich vernachlässigt.

Besonders hart traf es Glory B., nach eigenen Bekundungen zwar eines ihrer Lieblingsprojekte, das dann aber mit seiner bisweilen nicht ganz so funktionalen Ausrichtung gewohnheitsmäßig immer zu kurz kam. Infolge dessen – da sieht man, wie produktiv Schuld sein kann – wurde erst kürzlich eine Art Glory-B.-Werkschau in CD-Format über das spanische Label Minifunk initiiert. Bleibt noch der Genre übergreifende Central/Grow!-Sound.

Wobei es sich eigentlich um ein musikalisches Feld handelt, das sich am besten in Begriffen wie organische Komplexität und funktionale Spannungsdynamik in Moll beschreiben lässt: Die beinahe hektische Betriebsamkeit ihrer rhythmisch-perkussiven Vorlieben halten sie dabei in Grenzen, indem sie auf der Ebene unterhalb tiefe, häufig vom großen Bruder Dub gesegnete Basslines pulsieren lassen. Die überscharfen Konturen mancher Töne versöhnen sie mit singenden Sounds ihrer Synthesizer und variierenden melancholischen Themen, die in ihrer universalen Weitläufigkeit die Erde auf ihre wirkliche Größe zurechtstutzen.

Am Ende steht dann der superkomplexe Track aus einer besseren Welt, dem Referenzen schnuppe sein müssen. Es gibt eh keine mehr.

MICHAEL SAAGER

Glory B.: „Sunday Island“ (Minifunk/EFA)