Angst im Frauen-Nachttaxi

■ Vor dem Amtsgericht stand gestern ein Taxifahrer / Vorwurf: Sexuelle Nötigung

Es war abends. Es war dunkel. Es war der 18. Dezember vergangenen Jahres. Marianne L. wollte von der Arbeit nach Hause – ihre Kollegin bestellte ihr ein Taxi und zwar extra zum Frauennachttarif. Der Taxifahrer kam, trug ihren Rucksack zum Auto – sie nannte ihm ihre Adresse, er fuhr sie nach Hause. Soviel ist klar. Was folgte, darüber gingen gestern vor Gericht die Darstellungen von Marianne L. und dem Taxifahrer Matthias S. auseinander.

Denn laut der 52-jährigen Nebenklägerin habe sie der Taxifahrer nach dem Bezahlen sexuell genötigt. „Er hat mir in den Schritt gegriffen“, erzählt sie mit schwacher Stimme, den Blick auf den Richter gerichtet. Eigentlich wollte sie gar nicht aussagen, denn der Attest eines Allgemeinmediziners bescheinigte ihr „aufgrund psychischer Verfassung nicht in der Lage zu sein, mit dem Prozessgegner konfrontiert zu werden“. Das war dem Staatsanwalt und dem Richter aber „zu schwammig“.

Erst nach mehrmaliger Befragung des Richters ist Marianne L. bereit aufzuschreiben, was der Taxifahrer zu ihr sagte. „Ich will Dich ficken“, schreibt sie auf ein Stück Papier, die Worte gehen ihr nicht über die Lippen. Zudem habe der Angeklagte ihr an die Brust gegriffen – sie vermutet auch, er habe ihr die Hose öffnen wollen.

„Zweimal schlug ich mit der Hand nach ihm. Ich wollte aussteigen, doch er hielt mich am Arm fest.“ Erst nachdem sie sagte „Mein Mann ist Albaner, der findet Dich überall“, habe Matthias S. von ihr abgelassen und sie konnte fliehen. Nach ihren Worten war es so oder so ähnlich.

Denn selbst ihre Aussagen sind widersprüchlich im vergleich zu frühen Aussagen vor der Polizei. Unsicher ist sie beim genauen Ablauf. Sicher ist sie sich aber, dass er, entgegen früherer Aussagen, seinen Sitz nicht verlassen hat. Und sicher ist sie sich auch bei den zwei Hämatomen am Oberschenkel und Unterarm, die sie von der Auseinandersetzung davongetragen haben will.

Vielleicht kommen diese Ungereimtheiten durch ihre Nervösität. „Seit dem Ereignis schlafe ich nachts nur noch sehr kurz, ich brauche Beruhigungstabletten vom Arzt und traue mich im Dunkeln nicht mehr auf die Straße.“

Ganz sicher ist sich dagegen Matthias S., der seit vier Monaten in Untersuchungshaft sitzt: „Ich habe die Frau zu keinem Zeitpunkt belästigt oder angefasst. Gewalt gegen Frauen lehne ich von Haus aus ab.“ Schließlich gäbe es genügend Etablissements, wo Befriedigung möglich sei. „Außerdem stehe ich eher auf hübsche junge Mädchen und nicht auf Damen ihres Alters“, so der Dunkelhaarige, der sich seit gut 13 Jahren seinen Lebensunterhalt mit dem Taxi verdient. „Warum sollte ich mir meine Existenzgrundlage vernichten?“

Matthias S. traut sich inzwischen nicht mehr in Haftanstalt, weil er sich dort bedroht fühlt und Angstzustände bekommt. Außerdem erinnere ihn die Untersuchungshaft an eine „schlimme Zeit“ aus seiner Vergangenheit. Damals habe er sich freiwillig in psychiatrische Behandlung gegeben, erst durch seinen Beruf als Taxifahrer hätte sich sein Leben wieder normalisiert. Der Mann beteuert in minutenlangen Monologen vor dem Schöffengericht seine Unschuld. Er sei ein „sensibler“ Mensch. Und: „Ich habe in meiner Zeit als Taxifahrer einen Hasen und zwei Vögel überfahren, danach konnte ich tagelang nicht arbeiten.“

Ob das das Gericht überzeugen wird, stellt sich erst beim Fortsetzungstermin in der nächsten Woche heraus. Dennoch hat das Gericht abgelehnt den Angeklagten bis zum nächsten Verhandlungstermin von der Haft zu verHafschonen. Sicher ist, mit einer Kamera-Überwachung in Taxis, wie sie im Moment diskutiert wird, wäre man sich sicherer.

Sörre Wieck