Liebe nach Revolutionsgewittern

Viva Sandino? Gioconda Belli, Bestsellerautorin, ehemals Öffentlichkeitsarbeiterin der Befreiungsbewegung in Nicaragua, hat ihre Memoiren geschrieben. „Die Verteidigung des Glücks“ schildert Romantisches sowie den Machismo sandinistischer Kader

von CRISTINA NORD

Im Mai 1994 fand in Managua ein Kongress der Frente Sandinista (FSLN) statt. Wegen interner Zerwürfnisse drohte der Partei, die 1990 die Macht einbüßte und bis heute nicht wieder erringen konnte, die Spaltung. Doch davon war kaum etwas zu spüren. Wann immer strittige Punkte aufkamen, erhob sich auf dem Podium der Grandseigneur der sandinistischen Befreiungsfront, Tomás Borge. Er forderte alle Anwesenden auf, der Helden und Märtyrer der Revolution zu gedenken. Mit einem kräftigen „Viva Sandino“ oder „Hasta la victoria siempre“ („Immer bis zum Sieg“) bekräftigte er eine Einheit, die längst nicht mehr bestand. Wenn all das nichts half, gab es noch das Leid der Mütter, deren Söhne im Kampf gegen die Somoza-Diktatur oder später im Bürgerkrieg gefallen waren. Daran zu erinnern, erstickte jede Debatte, bevor sie beginnen konnte.

Gioconda Belli nahm an dem Kongress teil. In den Pausen stand die Bestsellerautorin („Bewohnte Frau“) auf dem Gang, als wäre sie ein Fremdkörper. Dabei gehörte sie seit mehr als zwanzig Jahren der Befreiungsfront an. Ich weiß nicht mehr, ob sie eine Rede hielt, moderierte oder es vorzog, sich nicht zu äußern. Als ich Freunde nach ihr fragte, erhielt ich die Auskunft, Belli lebe gar nicht mehr in Managua, sondern in den USA. Das klang damals, zumindest in sandinistischen Zirkeln, nach Verrat. Gioconda Belli sagte sich wenig später von der Partei los. Gut ein halbes Jahr nach dem Kongress war die FSLN gespalten.

Bellis Memoiren „Die Verteidigung des Glücks“ beschäftigen sich intensiv mit der Befreiungsbewegung und späteren Regierungspartei. Interessant ist das Buch, weil es deren autoritären Kern, wenn nicht systematisch bloßlegt, so doch mindestens zur Sprache bringt. Die Memoiren schildern den Machismo der Kader und die Realitätsferne ihrer Entscheidungen, sie benennen die Folgen des Bürgerkrieges und das Demokratiedefizit des sandinistischen Systems. Und das bei einer überwältigenden Sympathie für die Sache. Schließlich brachte Belli selbst diese Sache voran, indem sie sich 1970, im Alter von 21 Jahren, der Befreiungsbewegung anschloss und nach dem Sieg der Revolution 1979 deren Öffentlichkeitsarbeit besorgte.

Heute schreibt sie über die Jahre, die der Vertreibung des Diktators folgten: „Viele von uns Sandinisten fühlten sich immer mehr wie Zuschauer eines Prozesses, der nach wie vor von seinem idealistischen, heldenhaften Ruf zehrte, sich jedoch in der Praxis immer weiter von dem entfernte, was er sein wollte, und eine verschwommene, zufällige Angelegenheit wurde. Unterdessen starben auf den Kriegsschauplätzen täglich mutige, entschlossene junge Nicaraguaner, die von der Notwendigkeit überzeugt waren, den Traum zu verteidigen, der gleichzeitig, für sie unsichtbar, in Stücke ging.“

Das sind ungewohnt offene Töne, die man in anderen Memoiren und Testimonien aus Nicaragua umsonst sucht. In Tomás Borges „Mit brennender Geduld“ beispielsweise findet sich keine Spur von Selbstkritik. Die Traumata, die der Bürgerkrieg verursacht hat, werden in Revolutionspathos erstickt; das Sterben und das Töten gehen in der Ökonomie des Heldenliedes auf. Ähnliches gilt für Omar Cabezas' „Die Erde dreht sich zärtlich, Compañera“. Auch hier wird der Befreiungskampf so sehr idealisiert, dass die Grenze zur Propaganda überschritten ist. Das war genau der Lesestoff, den sich Partei wie internationale Solidaritätsbewegung wünschten.

Dass „Die Verteidigung des Glücks“ an den Ausschweifungen der militanten Literatur nicht teilhat, ist das große Verdienst des Buches. Doch leider gibt sich Belli anderen Ausschweifungen hin: denen des Kitsches. Plattitüden, Sentenzen und differenzfeministischer Nonsens füllen die Seiten. Als sich die Autorin von ihrem ersten Mann trennt, fühlt sie sich „wie eine Stute, die aus ihrem Gatter ausgebrochen ist, auf einer grünen, regenfeuchten Wiese“. Als sie das erste ihrer vier Kinder zur Welt bringt, erscheint ihr der Arzt wie „ein Gott“. Wenn sie sich dem Dichten widmete, „entlud sich die Poesie oft in mir wie ein Gewittersturm“. So ausgeliefert sie der schöpferischen Eingebung ist, so ist sie auch dem Diktat ihres Körpers unterworfen: „Ich weiß nicht, weshalb, doch alle fünf Jahre überfiel mich der unwiderstehliche Wunsch, Mutter zu werden. Mein Körper flehte mich geradezu an, seine Fruchtbarkeit zu nutzen.“

Bellis Prosa bewegt sich auf dem Niveau eines Arztromans. Sie beschreibt einen Lebenslauf, wie man ihn sich bewegter kaum wünschen könnte: Da gibt es wilde Leidenschaft, romantische Liebe, es gibt die Befreiung aus den Zwängen der bourgeoisen Herkunft, das Abenteuer des Widerstands und die ernsthafte politische Arbeit, schließlich das Glück der Mutterschaft und die berufliche Erfüllung. Nicht zufällig tauchen viele Motive aus Bellis Literatur auf – die Vita veredelt sich zum Roman.

Nur einmal drängt es Belli zur Selbsterkenntnis. Die sandinistischen Kader haben ihr nahe gelegt, sich von ihrem US-amerikanischen Gefährten zu trennen. Allein mit sich, weiß sie nichts mit sich anzufangen: „Ich wusste nicht, wer ich wirklich war, ohne die Widerspiegelung durch jemanden, der mir einen Namen gab und mich durch seine Liebe existieren ließ.“ Eine schmerzhafte Erkenntnis – doch die Autorin weiß auch sie einzuspeisen in ihre romantische Vorstellung eines erfüllten Frauenlebens.

Gioconda Belli: „Die Verteidigung des Glücks“. Aus dem Spanischen von Lutz Kliche. Hanser Verlag, München und Wien 2001, 414 Seiten, 46 DM