Die hohe Kunst des Weglassens

■ In einer neuen Dia-Multivision fasst das Focke-Museum 1.200 Jahre bremischer Geschichte in einer halben Stunden zusammen

Kraft Foods, früher Kraft Jacobs Suchard, hat es schon gemacht, die Bremen Marketing Gesellschaft macht es immer wieder mal, und nun hat auch das Focke-Museum den folgenden Versuch unternommen: die mit 1.200 Jahren relativ lange Geschichte Bremens in einer relativ kurzen Multivision zu erzählen. Seit gestern Abend ist das halbstündige Werk auf einer fünf Meter breiten Leinwand im Veranstaltungssaal des Bremer Landesmuseums für Kunst- und Kulturgeschichte zu bestaunen und – „im Eintrittspreis enthalten“, wie Museumsdirektor Jörn Christiansen betont.

Zwischen der ersten urkundlichen Erwähnung anlässlich eines Kirchenbaus auf der Düne in der heutigen Innenstadt anno 782 und der Verwirklichung des Sanierungs-programms seit Beginn der 1990er Jahre ist rund um den Dom eine Menge passiert. Und selbst wenn man die frühgeschichtlichen Siedlungen in Huchting, Oslebshausen und anderswo unerwähnt lässt, ist eine Montage von 1.200 Jahren vor allem eine hohe Kunst des Weglassens.

„Ich hätte Material für eine Stunde oder mehr gehabt“, sagt Heinz-Gerd Hofschen, der das Projekt geleitet hat. Werder Bremen, die Giftmörderin Gesche Gottfried oder das Kunsthandwerk im Allgemeinen kommen in dieser mit traditionellen Diaprojektionen hergestellten Multivision nicht oder nur kurz vor. Hofschen setzt den Schwerpunkt auf die großen politischen und ökonomischen Umbrüche und betont: „Dies ist keine Propaganda-Schau für Bremen.“

Wer inzwischen auch durch historische Dokumentationen an schnelle Schnitte und ein Bildstaccato gewöhnt ist, wird von dieser durch die Bremer Firma Schröder AV-Medien produzierten Schau überrascht sein: Langsam wird in dieser sehenswerten Schau anfangs ein Panoramaformat übers andere geblendet, manchmal wird Musik von Bach, Strobäus und Haydn eingespielt, und immer führt die sonore Stimme Martin Heckmanns auch durch die dramatischsten Zeitabschnitte. Hofschens Manuskript wagt sich auch an Tabuthemen und rückt geradezu beiläufig das Bild von der ältesten Stadtrepublik der Welt gerade: Abgesehen vom erst Anfang des 20. Jahrhunderts deutschlandweit eingeführten Frauenwahlrecht war die Sache des (männlichen) Volkes in Bremen fast ebenso lange eine Sache der wenigen Besitzenden. So ist durchaus Sympathie für alle, die das geändert haben, herauszuhören.

Die inklusive kleinerer Umbauten 120.000 Mark teure und von der Nikolaus-H.-Schilling-Stiftung finanzierte Multivision ist als Einstimmung auf den Ausstellungsrundgang konzipiert. Quasi im Zeitraffer durchstreift sie die Stadtgeschichte, die 782 in der Siedlung Bremun (übersetzt: am Rande gelegen) begann und wie eine Achterbahnfahrt verlief.

Auf Blütezeiten folgten Niedergänge und umkehrt – bis in die jüngste Gegenwart. So folgen auf Bilder von der Schließung der Großwerften AG-„Weser“ und „Vulkan“ am Ende Schnappschüsse von der Schlachte, vom Airport und anderen Sanierungsgebieten. Investitionen in Tourismus, Dienstleistung und unter anderem auch in Kultur „sollen“ aus der Strukturkrise führen, sagt der Sprecher. Vor allem das Hilfsverb „sollen“ verrät den Unterschied zu anderen Bremen-Visionen. „In fünf Jahren wird man bei dieser Formulierung ni-cken oder darüber lachen“, sagt Heinz-Gerd Hofschen. Bis dahin hält die robuste Projektionsanlage auf jeden Fall. ck

Die Multivision wird vormittags Schulklassen gezeigt. Nachmittags und an Wochenenden ist sie für MuseumsbesucherInnen zu sehen (die Zeiten: Di-Fr 15 und 16 Uhr, Sa+So 11, 12.30, 15 und 16 Uhr).