die stimme der kritik
: Betr.: Eine Welt, eine Zukunft, eine Liebesparade

Liebe gegen Liebe

In Salzgitter haben sie letzte Woche im Stadtrat auch überlegt: Warum nicht wir? Wäre doch ein Coup! Wäre wichtig für die Region, die Bürger, den Tourismus, den Industriestandort Salzgitter und überhaupt auch logisch: Salzgitter ist die größte Stadt in Deutschland, nicht Berlin, flächenmäßig eben, und sie ist allein aus diesem Grund ideal für die Love Parade. Und, genauso wichtig: Salzgitter ist nicht nur „Stadt im Grünen“, in der man überall frei pinkeln kann, Salzgitter hat auch eine tolle Autobahn zwischen Salzgitter-Lebenstedt und dem VW-Werk Salzgitter-Beddingen. Die ist immer leer, auf der ist nur bei den Schichtwechseln was los.

Die Sache hat nur einen Haken: Die Konkurrenz ist groß, auch Düsseldorf, Hannover, Frankfurt, Leipzig, das Ruhrgebiet, Magdeburg, Bielefeld und Rotenburg an der Wümme wollen die Love Parade. Der Krieg der Städte hat begonnen, und alle machen Männchen. Und die Planetcom freut sich. Hat sie ja auch geschickt eingefädelt, als sie dem „normalen Bürger“ (FAZ) Hans-Heiner Steffenhagen und seiner tollen Bürgerinitiative „Rettet den Großen Tiergarten vor der Love Parade“ den Vortritt gelassen hat, damit alle Welt wieder über die Parade spricht.

Hatte man doch gedacht, dass die Diskussionen um die politischen Dimensionen der Love Parade, um den Tiergarten, den Müll und den Rausch nicht mehr zu toppen seien. Ja, hatte man doch auch gesehen, was letztes Jahr alles nicht mehr ging: Nicht mehr Friede, Freude, Techno und Eierkuchen, sondern nur noch Kaputtness, Kaputtness und noch mehr Kaputtness. Berlin war fertig!

Also musste der Export wieder angekurbelt werden und mussten neue Konzepte her. So schlau wie Naddel und Bohlen (immer noch zusammen!) oder Sophie und ihr Scheich, der Journalist (ein ganz ausgebufftes Ding!), waren Motte und Co schon immer und große Dialektiker sowieso: Man denke nur an den theoretischen Überbau der jeweiligen Paraden: „We are family“, „One world, one future“, „One world, one Love Parade“. Wenn also, wie von Steffenhagen geplant, 20.000 Tiergartenschützer gegen die Love Parade marschieren, machen eine Million Raver einfach mit. (Haben sie im Internet schon angekündigt: „Raver kommen in jedem Fall nach Berlin“, freut sich die Welt.) Eine Love Parade gegen die Love Parade! One World, one Love Parade! Fuck the Fuck Parade! Und ganz Salzgitter schaut dumm aus der Wäsche und muss wieder nach Berlin. GERRIT BARTELS