Jazz zum Dessert & mehr

■ Vor 25 Jahren hatte die Sängerin Evelyn Gramel ihren ersten „Bühnenauftritt“, an Pfingsten bei einem Pfadfinder-Camp unterm Sternenhimmel. In lockerer Folge stellt die taz MusikerInnen vor, die das Musikleben der Stadt prägen

Evelyn Gramel bei Dacapo, EG bei der Breminale, EG beim Wall-Fest, EG in der GaDeWe, EG im Lagerhaus, EG im Moments, EG im Schlachthof, EG im Olbers-Planetarium, EG im Studio auf den Höfen. EG mit Gitarrist Peter Apel, EG mit Michael Berger, EG mit dem Gramel.Berger.Ulrich.Jehn-Quartett. Doch, man hatte durchaus die eine oder andere Gelegenheit, die Viertelbewohnerin kennenzulernen. Schließlich ist sie neben Romy Camerun und Gabriele Hasler die bekannteste Stimme der Stadt.

NeubremerInnen kennen sie als virtuose Jazzerin, auch wenn sie zwischen „A night in Tunesia“ und „God bless the child“ auch mal ein Stück von Sting, Joni Mitchell, Police und sogar von den grungigen Soundgarden einstreut. Aber es gab auch ein Leben vor dem Jazz, sogar ein Leben auf Lastwagenanhängern bei Anti-AKW-Demos, in der Hand die Folk-Klampfe und auf der Lippe Lieder mit rührenden Titeln wie „Wir haben die Schnauze voll“: „Die Atomkraftwelt verkehrt sich bald, der Fluss wird warm, der Mensch wird kalt. Verseuchtes Gras dient der Kuh zum Fraß, sie muht im Abendschein, dann geht sie ein.“ Darüber wollen wir hier berichten – und über Gramels Kichern, das sie überfällt bei der Erinnerung an die alten Agitprop-Lieder – „hatte aber damals durchaus seine Berechtigung.“

Aber nichts geht ohne Geburt. Die fand statt in einer Arbeiterfamilie. Der Vater war Friseur, später Schlosser, malochte Schicht bei Klöckner, war als Kind „bitterarm, aber nicht unzufrieden“, auch wenn er später „die Rente als schönste Zeit seines Lebens bezeichnete“. Vielleicht war es auch der Arbeitergesangsverein, der dem Großvater und dem Vater das Leben erträglich erscheinen ließ. Jedenfalls tönten viele Melodeien durch das Haus, in dem mehrere Familien in „einer Art Prä-Hausgemeinschaft“ lebten.

Schon mit fünf Jahren quietschte Evelyn mit, wenn Caterina Valente und Peter Krauss am Plattenspieler ihre Runden zogen. Bald sang sie im Kinderchor und stand auf der Bühne der Glocke. Da wusste sie: Ich werde Sängerin – und wurde später Sekretärin mit Steno, Schreibmaschine und allem. Als Jugendliche hörte sie volles Programm, Jethro Tull, die Stones, Led Zeppelin, Beatles, Bee Gees, Beach Boys, Monkeys, Härteres wie etwa Aerosmith aber eher nicht. Noch heute zieren zerlumpte Singles mit nostalgischem Erinnerungswert ihre Plattensammlung. „Diese Julie Driscoll konnte ich ewig hören“, sagt sie – und lässt die arme Tonabnehmernadel krachen. Mitten hinein jodelt das Telefon. EG lässt es jodeln: „Wird schon nicht Quincy Jones sein.“

Dann bekam sie einen Schreibtisch-Job an der Uni – und sowas verändert bekanntlich ein Leben, besonders Mitte der 70er. Da war noch immer 68. Zwei Jahre lang bewegte sich EG im Umfeld des KBW. „K-Gruppen-geschädigt“ vermied sie aber bald feste Gruppierungen und deren Kampf um die einzig wahre Meinung. Sie demonstrierte lieber gegen Konkretes: AKWs und § 218. Irgendwann drückte ihr Liebster ihr eine Gitarre in die Hand und erklärte: Das hier ist C-Dur, das ist G-Dur, das ist F-Dur. Und schon ging's los zusammen mit Pago Balke (heute 50 Prozent der Kabarettisten Pago & Koch) und dem Maler Jimmi Paesler. Man probte in einem Keller an der Wulwesstraße, und eine Folkband war geboren. Ihr Name: Likedeelers, das heißt Gleichteiler und meint die vorbildhafte Verteilungspraxis unter den Piraten des Störtebecker. Man machte Straßenmusik, trat auf bei den Folkfestivals im hessischen Ingelheim und im Hannoverschen Raschplatz-Pavillon und versorgte Anti-AKW-Tagungen mit Musik.

Noch heute ist EG im weitesten Sinne politisch. Vor allem ärgern sie die scheinbar niemals endenden Kürzungen im Kulturetat. Schon seit 1986 ist sie deren Zeugin und Leidtragende. Denn nach einem Studium der Musikpädagogik war sie etwa sechs Jahre lang ABM-Mitarbeiterin bei der Breminale-Organisation. Und das kürzliche Gezerre über 50.000 Mark Deckungslücke bei der Breminale GmbH ist für sie nichts anderes als ein déjà vu – eines der ärgerlichen Sorte.

Nach den Likedeelers gab es andere Bands. Wie viele? „Ich weiß es nicht mehr so genau.“ Mal war es Pop, und mit ihrer mittellangen Dauerwelle sah EG fast so aus wie Jennifer Beals in Flashdance. „Damals wollten wir eben den großen Durchbruch. Dieses Foto muss aber nicht unbedingt in die Zeitung“, schade. Irgenwann gab es die „Disformations“, Wave. Ob EG wohl wie Brian Ferry gesungen hat? „Eher wie David Byrne von den Talking Heads. Aber Vorbilder waren doch eher Frauen. Chrissie Hynde zum Beispiel.“ Und was wurde ,deformiert'? „Klischees“, zum Beispiel das des Popstars durch das Tragen von Schweißerbrillen.

Damals griffen so einige Frauen zum Saxophon. EG griff mit. Und so landete sie beim Jazz. Sie lauschte Roland Kirk und Lester Young. Und noch immer hängt John Coltrane ab in ihrem Wohnzimmer im stuckverzierten Altbremer Haus. Bald verzierte sie die Platten der Ella F. und Billie H. mit einer zweiten Stimme, in der Badewanne sitzend. „Da ging eine Tür auf.“ Schon bald trat sie auf, mit relativ unveränderten Jazz-Cover-Versionen, unter anderem von Gesangsakrobaten Bobby McFerrin, und zwar „ganz unbedarft – und genau das war damals das Schöne daran.“ Mit der Zeit lernte sie die Freiheiten des Improvisierens zu nutzen. Und genau dieses Singen aus dem „mood of the moment“ ist heute für sie das schönste Konzerterlebnis.

Anfang der 80er war sie in Bremen wohl die erste Sängerin, die dieses JazzThing machten. Heute gibt es mit den „Urban Jazz Dance“-Veranstaltungen sogar wieder eine entsprechende Tanzszene. Die Fusionitis in der heutigen Musiklandschaft – Jazz und HipHop, Jazz und drum'n'bass – findet sie spannend. Und mit ihrem Quartett experimentiert sie auf diesem Gebiet.

Seit Ende ihrer Breminale-Zeit lebt EG von der Musik. Ihren Konzertalltag beschreibt sie als zweigeteilt. Im Moments oder im Olbers-Planetarium ist sie „freischaffende Künstlerin“, die ihr ganz persönliches Ding macht, und die Gage entspricht eher einer Art Aufwandsentschädigung. Bei Unternehmensfeiern oder Privatfeten „bin ich Dienstleisterin, wobei ich beides mit ein und demselben professionellen Qualitätsanspruch praktiziere.“ Da ist die Gage eine Gage. Aber was ist eine richtige Gage? „Darüber philosophiere ich wirklich viel. Wenn man Probenzeit und technischen Aufwand mit einrechnet, fände ich tausend Mark pro Person nicht ganz unangemessen. Aber das gibt es höchstens mal zu Silvester.“

Etwa 50mal im Jahr wird Dienst geleistet, bei Firmen, bei Bekannten, die sich den Auftritt zusammensparen, oder in Oberneuländer Villen, „wo Feste gefeiert werden, die so teuer sind, da könnte ich ein Jahr davon leben“. Zwischen 30 Minuten und sieben Stunden dauern die Auftritte der Swingband. „Zum Glück ist meine Stimme robust.“ Einmal wurde die Combo für eine Firmenfete nach Brüssel eingeflogen für „eine Art Jazz zum Dessert“. „Da saßen wir in einem kellerartigen Backstageraum unter der Bühne und warteten, und oben war große Welt.“

„Es ist wichtig im Kopf zwischen Kunst und Brotjob, Kreativität und Reproduktion zu unterscheiden, sonst fühlt man sich irgendwann persönlich beleidigt.“ Zwar macht sie sich manchmal Sorgen um Dinge wie Rente, „aber bislang ging noch immer alles einigermaßen gut in meinem Leben“. Und vielleicht gründet man im Alter mal eine MusikerInnen-WG. Die Möglichkeiten für die Kunst findet sie in Bremen ganz gut, dank Läden wie Moments, Studio, Gerken. Jetzt hofft sie erstmal, dass Barfly Kulturgelder für seine gefährdete „Blue Moon Bar“ bekommt und es endlich mal ein Ende hat mit dem Zusammenschrumpfen der Kulturszene. bk

Mail: e.gramel@web.de.

EG spielt am 14.4 um 21 Uhr mit Peter Apel + Michi Schmidt im Studio auf den Höfen

CDs vom Berger.Gramel-Duo und von Gramel-Swing sind unter 75 441 zu ordern.