Keine grünen Haare im Kosovo

Der Widerschein der Geschichte im Bewusstsein des einzelnen Menschen: Dokumentarische Videos der französischen Künstlerin Florence Lazar zum Balkankrieg und seinen Überlebenden in der Plattform-Galerie

„Der Sniper zielt auf den glühenden Punkt. Das wussten wir eigentlich, aber mein Kamerad zündete sich trotzdem eine Zigarette an. Er wurde sofort erschossen!“ So schildert ein Soldat aus dem Kosovo seine Kriegserlebnisse von vor zwei Jahren. Die Front existiert nicht mehr, in dem Gebiet zwischen Makedonien und Serbien brodelt es weiter, und Milošević sitzt derweil im Gefängnis.

Die verheerenden Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien haben die Biografien der Menschen dort sehr durchfurcht. Drei Videos von Florence Lazar dokumentieren jetzt in der Non-Profit-Galerie Plattform die individuellen Verwüstungen angesichts des globalen Auseinderdriftens der zuvor mühsam durch eine nationale Klammer zusammengehaltenen Ethnien.

Nicht zufällig fiel der Blick der 35-jährigen französischen Künstlerin auf den zerbrochenen Vielvölkerstaat: Florences Mutter emigrierte vor über 20 Jahren aus Jugoslawien nach Frankreich. Ihr Vater, ein polnisch-ungarischer Jude, wurde ebenfalls von der neuzeitlichen Völkerwanderung geprägt. Schon daher lag es für Lazar nahe, sich in ihrem Medium, der Fotografie, auf die Suche nach den biografischen Wurzeln zu machen. In ihren Anfängen befasste sich die Künstlerin vorwiegend mit einer abstrahierenden Porträtfotografie. Sie sparte bewusst die soziale Verortung und die Lebensläufe der Abgebildeten aus. Sie negierte gesellschaftliche Voraussetzungen des Einzelnen, darin ähnlich den kühlen Tableaus von Thomas Ruff. Aber „irgendwann merkte sie, dass das nicht reicht“, erklärt Ulrike Kremeier, die für „plattform“ zuständige Galeristin. Mit den jetzt gezeigten Arbeiten schlägt Lazar einen radikal anderen Weg ein: Über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg entstanden ihre Aufnahmen von Menschen aus dem Kosovo. Subjektiv und durch keinen Filmschnitt kommentiert erzählen sie ihre Geschichten. So berichtet eine Gruppe von Bauern beim Sortieren von Weinreben über das Leben im Dorf: „Meine Familie hat Handel mit den Serben getrieben. Das wurde akzeptiert.“ Doch die statische Anordnung der Figuren erinnert an ein Genrebild und eröffnet dem Betrachter die Möglichkeit, sich auch mit den Gesten, der Kleidung und der monotonen Handarbeit der Abgebildeten zu beschäftigen.

Dann versammelt Lazar im zweiten Film verschiedene Bekannte und Freunde ihrer Eltern und lässt diese berichten. „Bei einer Reise durch den Kosovo triffst du überall auf Gräben, in denen Tote liegen. Wenn du etwas isst, weißt du nicht, wo das Fleisch herkommt“, beschreibt ein junger Mann ein an Breughel erinnerndes Purgatorium auf dem Balkan. „Für viele Serben ist nur ein toter Albaner ein guter Albaner“, kommentiert ein anderer. Statements, die nichts erklären. Aussagen, die in ihrer Subjektivität völlig ungeignet sind, politische Hintergründe zu erhellen.

„In meinen Kopf herrscht eine solche Verwirrung. Sollte ich nicht verrückt geworden sein, muss ich anormal sein.“ Diese Erkenntnis des Soldaten fasst vermutlich mit knappen Worten die Gefühlslage vieler zusammen, die der täglichen Bedrohung durch Heckenschützen und Stellungskämpfe ausgesetzt waren. Wie bedrohlich der Konflikt für den Einzelnen tatsächlich war, ob sein Leben auf dem Spiel stand, ob das interventionsauslösende Massaker von Račak am 16. Januar 1999 wirklich stattgefunden hat, dazu bezieht Lazar keine Stellung.

Ebenso wenig ist den Aussagen der Kosovo-Bewohner zu entnehmen, ob es den von Scharping als Rechtfertigung für den Krieg heran gezogenen Hufeisenplan wirklich gab. Für diejenigen, die sich nach dem Zerbrechen der staatlichen Ordnung der Willkür marodierender Soldaten ausgesetzt sahen, ist dies auch unerheblich: „Wenn man die gleichen Geschichten von allen Leuten hört, muss man sie glauben“, stellt eine Frau fest. Problematisch wird eine derart vereinfachende Sicht der Dinge, wenn Florences Vater im dritten Video konstatiert: „Gegen ein Regime wie das von Milošević oder Hitler muss man Krieg führen. Das sagen auch Pazifisten wie Cohn-Bendit oder Fischer!“

Ähnlich wie in den frühen Arbeiten von Roumald Kamakar will Lazar lediglich den Widerschein der Historie im Bewusstsein des Einzelnen artikulieren. Florences Bruder entgegnet daher: „Naiv ist es, zu glauben, politische Konflikte könnten an zwei Tagen mit Bomben gelöst werden“, und vertritt so entsprechend klassischen Vater-Sohn-Rollenmustern strikt die entgegengesetzte Position. Nicht nur in dem Video mit den Familienangehörigen Lazars wird deutlich, dass sozialem Handeln stets ein verborgener Subtext unterliegt. Oder wie Kremeier sagt: „Die Auseinandersetzung zwischen Bruder und Vater hätte auch um grüne Haare gehen können.“ RICHARD RABENSAAT

Florence Lazar: „ja volim vas, ja volim vlast / ich liebe sie, ich liebe die macht“, bis 21. 4., Mi–Fr 14–19 Uhr, Plattform, Chausseestr. 110/111, Mitte