„Katalogisierung der Erinnerung“

■ Berge, Meere, Flüsse wollten auch mal ins Museum gucken. Jetzt haben sie Carl Vetter und Doris Cordes Vollert in die Galerie Gruppe Grün geholt. Die feiert nämlich dieses Jahr den 30- Geburtstag mit Doppelausstellungen

Schon durchs Schaufenster sieht man eine riesige blaue Krone mit verwilderten Zacken. Wenn man die Galerie verlässt, ist die Krone keine Krone mehr, sondern ein gigantisches Bergpanorama. Wenn land-art sich klein macht und den Galerien einen Besuch abstattet, dann weiten sich allmählich die Galeriewände, ein Stück Himmel winkt herein – und war da nicht ein Meeresrauschen?

Die Ausstellung von Carl Vetter und Doris Cordes-Vollert zeigt baumelnde Steine, klaffende Steine, durchlöcherte Steine und eine Imitation der schrundigen Galeriewand. Vor allem aber weist sie über Fedelhören Nr. 32 hinaus, erinnert an nächtliche Spaziergänge, ans Hineinlauschen in Waldesrauschen und vor allem an Gemeinschaftsprojekte von Künstlern.

Cordes-Vollert war 1997 Gästin auf dem Künstlerinnenhof die Höge, Nähe Syke. Dort steht eine Art Stall. Der ist schlampig zusammengezimmert. Zwischen fast allen Brettern sind unregelmäßige Ritzen. Bei Sonnenschein verursachen sie im dunklen Innenraum ein schönes Lichtspiel. Wie in anderen Arbeiten auch nutzte die Künstlerin dieses unauffällige Stück Kunst, das die Natur selbst – in diesem Fall eher die Landwirtschaft – fabrizierte. Zusammen mit Etta Unland spannte sie 1500 Meter phosphoreszierende Nylonfäden durchs Gebälk, mit der Regelmäßigkeit einer Harfensaitenbespannung. Die Sonne durfte darauf spielen. Wäre man ein evangelischer Pfarrer, dürfte man schwärmerisch sagen: die Künstlerin tritt ein in einen Dialog mit der Natur und setzt sich hinweg über das Gebot der Bibel, macht euch die Erde Untertan. Aber eigentlich darf man das auch als Nichtpfarrer.

Diese und viele andere Arbeiten sind in Fotos und vielen Büchern dokumentiert, auch in diversen Symposiumsbänden – einsame land-art–WölfInnen suchen scheinbar gerne den Austausch mit KollegInnen.

Auch in Bremen war die 57-jährige Hamburgerin zugange. 1991 hinterließ sie ihren Fingerabdruck auf dem Rasen hinter der Kunsthalle, einen riesigen Fingerabdruck, ganz wortwörtlich, mit Hilfe eines Rasenmähers. Aber auch in anderen Arbeiten interessiert sie sich für die Semantik von Linien – und für deren trügerischen Charakter: „In der Natur finden sich per se keine Linien. Selbst der Horizont wird erst dazu, wenn wir ihn als Grenze denken.“ Toller Satz. Hartnäckig widerlegt sie Linien.:

Auf eine Wand mit Türrahmen malt sie einen fiktiven ins Trudeln geratenen Rahmen, wie in einem expressionistischen Murnau-Film. Und über die wunderschönen natürlichen Zeichnungen von Steinbrocken im Wald, zeichnet sie die Künstliche eines Gebirgsbachs: denn das abschüssige Gelände hätte einen Bach verdient. Die Arbeit heißt halb schalkhaft, halb mythisch „nachdem das Wasser aufwärts floss“. Und auch andere Arbeiten und Titel suchen nach einer anderen Wirklichkeit hinter der Realität. „Vernähung der Spalte in weißem Stein“ heißt eine kleine Felsschlucht, die Cordes-Vollert mit vielen Stöckchen „vernähte“.

Wie wichtig ihr eine andere „Vernähung“ – nämlich die zwischen Wort und Bild – ist, wird deutlich in einem Büchlein, dass als „Katalogisierung der Erinnerung“ an einen einjährigen Aufenthalt im portugiesischen Feixal verstanden sein will. „Drei portugiesische Märchen, leicht verändert“ und eigene Texte stehen neben Fotos von Steinen, Steinen, Steinen.

Die Ausstellung ist Teil der Geburtstagsfeier der Gruppe Grün. Zum Dreißigsten werden sieben Mal Doppelpacks vorgestellt und dem grammatikalisch avantgardistischem Motto „Parallele Universien“. Diesmal fließen die Arbeiten in eins zusammen. Auch bei Carl Vetter, der immerhin 1985 eine Einzelausstellung in der Hamburger Kunsthalle bekommen hat, wächst Kunst weit ins eigene Leben hinein – wobei man das genauso gut anders herum formulieren könnte. Auch hier trifft sich eine Faszination an der Kargheit mit einem gewissen Pathos: „An Ursprüngliches erinnern wollen. Ich will keine Behauptung in die Landschaft stellen, sondern mich ,einklinken'; zumindest für eine Weile, wieder im Einklang mit dem Ganzen sein.“ Das Einklinken scheint bei Vetter suchtartige Züge anzunehmen.

Zum Verhängnis wurde dem 1949 in Weimar geborenen Hamburger ein Stipendium 1979 in Irland. Seitdem treibt es ihn Jahr für Jahr vom Jungfernsteg in die verregnete, melancholische Einsamkeit dieser Insel. Angetan haben es ihm zum Beispiel die schroffen Brüche. Eine relativ dramatisch hochschießende Felswand bespielt er mit einer Lichtinstallation, „auf Fernsicht konzipiert“. Die Größe der Natur macht offenbar Mut zum Denken in großen Dimensionen.

Und dann der Name, „Shining cliffs“. Oder „Creeping lights“: dabei handelt es sich offenbar um Menschen, die mit Lichtern in den Zwischenzuständen lilaener Dämmerung einen Hügel abwandern. Live muss das gigantisch gewesen sein. Beim Schmökern in den Büchern überträgt sich allmählich die Ruhe, Konzentration, Magie hinter solchen Projekten. Und auch die Geste jenes Fotos auf der schönen Einladungskarte wird immer stärker. Über einem gigantischen Meerespanorama schwebt die Hand des Fotografen – wie ein göttlicher Segen, oder wie eine Wolke, ein Gewitter. Daneben die Zeichnung, die das Meer dem Sand einprägt: die Natur ist ein erstklassiger Künstler.

Zur letzten Ausstellung steht im Gästebuch eine Art Hymnus, in dem viermal das Wörtchen „schön“ auftritt. bk

Bis 27.4., Mi-Fr 15-18h, Fedelhören 32, Tel.: 326572