Pompeji und Herculaneum im Dreck

Abfallnotstand: Italien hat zwar die Ökomafia zurückgedrängt, nicht aber die Entsorgungsprobleme im Griff

ROM taz ■ Wenn morgen der Vesuv ausbräche und Pompeji oder Herculaneum erneut verschütten würden, hätten künftige Archäologen einen unappetitlichen Job: Unter der Asche würden sie auf enorme Müllhaufen stoßen. Denn die beiden antiken Städte ersticken im Abfall, genau wie über 100 andere Gemeinden im Hinterland von Neapel und in der Provinz von Salerno.

Gut eine Million Menschen leben dort seit Januar ohne Müllabfuhr. Weite Teile Kampaniens haben sich in eine stinkende Landschaft verwandelt, in der tausende Tonnen verfaulender Abfälle die Straßen säumen.

Das Drama begann, als der Staatsanwalt die Müllkippe in Tufino am 16. Januar wegen Sicherheitsmängeln schloss. Die Entscheidung war unvermeidlich, ebenso die zeitgleiche Stilllegung einer Deponie bei Salerno. Doch plötzlich saßen 140 Gemeinden auf ihrem Müll. Schlagartig wurde deutlich, dass es in der süditalienischen Region – allein im Ballungsraum Neapel leben drei Millionen Menschen – keine vorausschauende Entsorgungspolitik gibt.

Jahrelang war das Geschäft mit dem Müll eine Domäne der Camorra-Banden, die sich mit wilden Deponien eine goldene Nase verdienten und dabei der Region dutzende ökologische Zeitbomben bescherten. Zwar drängte der Staat die Ökomafia mittlerweile zurück. Doch gerade das jetzige Krisenmanagement zeigt, dass auch er nicht in der Lage ist, eine sichere Entsorgung zu gewährleisten.

Provisorisch zwischenlagern sollten die Bürgermeister den allgegenwärtigen Dreck, forderte der Präfekt von Neapel. Und so entstanden lauter kleine Notmüllkippen unter Autobahnbrücken, auf Brachflächen oder Sportplätzen. Oft genug brachen darüber kleine Revolten aus: Die Anlieger wollten nicht mit infernalischem Gestank leben müssen. Selbst alte illegale Müllkippen der Camorra, die vor Jahren unter großem öffentlichem Getöse geschlossen wurden, sollen wieder genutzt werden. Und sogar in den Naturparks des Vesuv und in dem als archäologische Zone ausgewiesenen Gebiet bei Terzigno lassen die Bürgermeister die Abfälle auskippen.

Doch der Abfalllawine werden sie damit nicht Herr. In Gragnano sah sich der Bürgermeister gezwungen, die Schulen zu schließen. Seuchengefahr. Als nächstes sollen Geschäfte und öffentliche Einrichtungen dichtgemacht werden.

Neben der Gesundheit steht die öffentliche Ordnung auf dem Spiel: In der Stadt Casoria errichteten Bürger Straßensperren und fackelten Müllcontainer ab, um eine Lösung zu erzwingen. Doch kaum haben die Regionalpolitiker einen neuen Standort für eine Deponie ausgeguckt, steigen dort die Menschen auf die Barrikaden. Das Misstrauen ist verständlich, oft genug sollen da alte, unsichere Müllhalden wieder in Betrieb genommen werden. Um das zu verhindern, ist den Leuten jede Hilfe willkommen: Im Dorf Cicciano holten sie die Madonnenstatue aus der Kirche und trugen sie in feierlicher Prozession zur Müllkippe. Vor 400 Jahren hatte die Muttergottes die Pest besiegt. Jetzt bedarf es wohl eines neuen Wunders, um des Abfallnotstands Herr zu werden. MICHAEL BRAUN