Durch Steuern steuern!

Die Bildungsdebatte muss endlich intelligent übers Geld nachdenken. Es kannnicht sein, dass Kindergärten Gebühren kosten – aber das Medizinstudium umsonst ist

Vorbild Australien: Studenten werden alimentiert, später zahlen sie je nach Einkommen zurück

Der pädagogische BSE-Skandal ist längst alltäglich. „Viele Schüler nehmen den Unterrichtsstoff als sinnlos wahr“, fasst Wolfgang Edelstein, Direktor emeritus am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, zusammen. Das Urteil Jugendlicher über die Schule, so der Stand der Forschung, falle etwa so negativ aus wie das Urteil der Lehrer über die Schüler. „Im Ergebnis“, sagt Edelstein, „erzeugt Schule ihre eigene, von ihr stark beklagte Pathologie: Passivität und Depression bei den Braven; Unruhe und Rebellion bei den anderen, die sich ein Stück Vitalität bewahrt haben. Und diese Rebellion ist heute rechts! Wir sollten nur nicht glauben, dass die Schule damit nichts zu tun hätte.“

Auch die klugen Leute der Wirtschaft wissen es längst: „Ausbildung ohne Bildung führt zu Wissen ohne Gewissen“, schreibt Ex-Automanager Daniel Goeudevert in seinem heute erscheinenden Buch „Der Horizont hat Flügel – Die Zukunft der Bildung“. Ein flammendes und kluges Plädoyer gegen Bildung als bloße Verwertung für den Job. Vor allem jenen „jungen Leuten“ ans Herz gelegt, die glauben, nur als Betriebswirtschaftler ihrer selbst durchkommen zu können. Nein, sagt Goeudevert, der weiß, wie man Karriere macht, das reicht nicht. Es geht um Kultur. Es geht darum, wie wir leben wollen. Bildung ist eine Kraftquelle, ohne die auch das Überleben gefährdet ist.

Am heutigen Tag kommt auch die Bildungskommission der grünen Heinrich-Böll-Stiftung mit ihren ersten Empfehlungen heraus. Sie beginnt gleich mit dem heikelsten Thema, der Finanzierung. In der Tradition der Linken galt Geld ja als egal oder schmuddlig. Ein paar Starfighter, Tornados weniger, oder wie immer die milliardenteuren Flugzeuge heißen, vielleicht noch ein paar fast genauso teure Autobahnkilometer sparen – und dann sei das Geld doch da! So sprach man lange Zeit und dachte zu kurz. Eine Demo ließ sich eine Stunde lang damit erregen, aber da geht ja keiner mehr hin. Diese ganze Wunschprosa von „Forderungen“ hat zwei Nachteile. Der eine, dass sie nicht durch Zaubersprüche Wirklichkeit werden kann. Das wissen inzwischen fast alle. Der größere Nachteil ist die eingebaute Selbstinfantilisierung: Der Staat muss gut sein, soll uns versorgen und wird es richten. Er saugt Steuern ab, und wenn er die Kohle verteilt, wird aus bösem Geld endlich gutes. So lautete der Mythos.

Die Kommission der Böll-Stiftung beginnt mit Überlegungen zur Bildungsfinanzierung, denn alle Verbesserungsvorschläge, die nicht auch als Finanzierungskonzepte formuliert werden, bleiben politisch schwach. Ihre Grundidee wird allerdings im rot-grünen Lager und erst recht am alternativen Stammtisch Empörung auslösen, will sie doch eine Kombination aus staatlichen und individuellen Geldern. Studium und Weiterbildung sollen aus staatlichen Zuschüssen, Bildungskrediten und persönlichem Bildungssparen finanziert werden. „Das neue System soll Reichtum und Bedürftigkeit der Beteiligten berücksichtigen.“ Diese gemischte Finanzierung erhalten die StudentInnen als Bildungsgutscheine, die sie an die Hochschule ihrer Wahl tragen. Man kann das Kundenbeziehung nennen, Stärkung der Subjekte oder mehr Power für die Basis; im Ergebnis wird der Staat zu einem Körper, der für den Rahmen sorgt, aber dem gesellschaftlichen Leib die Selbstorganisation zurückgibt und sie ihm manchmal auch zumutet.

Was die Erneuerung des Rahmens betrifft, so verlangt die Böll-Kommission, Bildung solle von den frühkindlichen Einrichtungen bis zum Abschluss der Sekundarstufe II und in der beruflichen Erstausbildung gebührenfrei sein. Anders als bisher entfallen dann zum Beispiel die Schulgelder in den Gesundheitsberufen. Bei den Kindergärten dürften nur Betreuungsfunktionen privat in Rechnung gestellt werden. Das bedeutet, Kindergärten endlich als Bildung ernst zu nehmen! Jeder weiß längst, wie nachhaltig in dieser Phase Biografien geprägt werden, aber die Politik und ihre lernbehinderten Institutionen wissen nicht einmal, wie gut man in diesem Alter Fremdsprachen lernt. Für die Lust aufs Leben werden in dieser Zeit die inneren Atmosphären angesetzt. „Lernen ist Vorfreude auf sich selbst“, sagt Peter Sloterdijk.

Bisher kosten Kindergartenplätze für die besser verdienenden Eltern bis zu 700 Mark im Monat. Das Studium für die bestverdienenden Röntgen- und Zahnärzte oder andere Beutelschneider ist gratis. Wenn einer daran rüttelt, küsst er die Scheinheiligen der Chancengleichheit wach, die sich nun wieder als Kämpfer für die Grundrechte der freien Entfaltung der Persönlichkeit profilieren dürfen. Doch wenn man es will, ist leicht auszuschließen, dass jemand aus Geldgründen vom Studium abgehalten wird. Dafür sind intelligentere Lösungen denkbar als die Politik der Pseudogleichheit.

Kindergärten sind als Bildung ernst zu nehmen! Dortwerden nachhaltigBiografien geprägt

Warum nicht die Studienförderung von Australien übernehmen? Studenten werden dort, wenn sie wollen, während des Studiums so gut alimentiert, dass sie nicht zu jobben brauchen. Später müssen sie von einer bestimmten Gehaltsstufe an zurückzahlen. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit. Es geht auch darum zu wissen, was man als Student oder Schüler von der Gesellschaft bekommt. Wenn man das nicht weiß, kann nie die Idee aufkommen, man hätte vielleicht etwas zurückzugeben. „Kunden“ haben auch Anspruch auf „Gewährleistung“ – zumindest ordentlicher Unterricht darf verlangt werden, und Luschen im Lehrkörper müssen sich einen anderen Job suchen!

Wie groß die Finanzsorgen in der Bildung sind, darauf wies Anfang der Woche auch das Institut der deutschen Wirtschaft hin. Der Thinktank der Wirtschaft warnt davor, dass seit 1980 der Anteil staatlicher Aufwendungen für Bildung von 5,2 auf 4,2 Prozent des Bruttosozialprodukts gesunken ist. Das ist ein Skandal. Aber hat er nicht auch damit zu tun, dass jeder irgendwie spürt, wie vergeblich neuer Bildungswein in verrottete Schläuche gepumpt wird? Erneuerung ist derzeit ohne Stiftungen, Sponsoren oder Förderer nicht möglich. Ohne deren Initiative wären unsere Schulen und Hochschulen (Flachschulen!) noch grauer. Aber darf es denn sein, dass soziales Kapital für Innovationen nur vom großen Geld ausgeht? Wie wäre es denn, wenn jeder über 10 Prozent seiner Steuerschuld verfügen könnte, um dieses Geld für Bildung, Kultur und intergenerative Projekte selbst zu adressieren? Man könnte sich Fonds und andere Bündnisse vorstellen, über die jedermann und jedefrau selber steuern. Mit seiner Steuer steuern – das wäre ein starker Impuls zur Vitalisierung der Gesellschaft und ließe Verantwortungsverhältnisse zwischen Bürgern und Institutionen entstehen. Verantwortung kommt ja von antworten. Die übliche Alternative, Gängelung durch Bürokratie oder Autonomie, greift zu kurz und vergisst das Wichtigste: Eine Zivilgesellschaft muss nicht nur diskursive Nervenbahnen bilden, sie braucht auch ein differenziertes System von Adern, durch das die Energie fließt. Geld ist nicht (nur) schmutzig. REINHARD KAHL