Neujahr als politisches Fest

In der Kurdenmetropole Diyarbakir konnte auch dieses Jahr das Neujahrsfest „Newroz“ gefeiert werden. Andernorts verhielten sich die türkischen Behörden repressiver

ISTANBUL taz ■ Ausgelassene Feiern in der Stadt Diyarbakir, Verbote in Istanbul und Festnahmen in der Hafenstadt Mersin, das ist die vorläufige Bilanz des diesjährigen kurdischen Neujahrsfests „Newroz“ am 21. März.

Wie schon im letzten Jahr waren die Newroz-Feiern in Diyarbakir, der Stadt mit der größten kurdischen Bevölkerung im Südosten der Türkei, auch gestern offiziell erlaubt worden. Unter der Schirmherrschaft der Stadtverwaltung, die von der prokurdischen Partei Hadep gestellt wird, erlebte Diyarbakir mit 70.000 Teilnehmern das größte Newroz-Fest seit Jahren, während gleichzeitig in Istanbul der Antrag der Hadep für ein Newroz-Fest abgelehnt wurde. Stattdessen veranstaltete die islamistisch regierte Istanbuler Verwaltung offizielle, staatliche Newroz-Feiern. In Mersin, einer Hafenstadt im Süden, in die viele Kurden aus dem Südosten zugewandert sind, wurden bei unangemeldeten Newrozfeiern dagegen über 50 Leute festgenommen. Zusammenstöße gab es auch in Bitlis, Siirt und anderen, überwiegend kurdisch bewohnten, kleineren Städten.

Newroz wird von den Kurden als Beginn des „neuen Tages“, gemeint ist die Geburt des neuen Jahres nach dem Winter, gefeiert. Das Fest, bei dem getanzt, gesungen und Freudenfeuer angezündet werden, hat in der Türkei große politische Bedeutung gewonnen, weil die Kurden Newroz zum Anlass nehmen, ihre Identität hervorzuheben. Während des Bürgerkrieges in den Kurdengebieten wurde es deshalb zur Machtfrage, ob Newroz gefeiert werden konnte oder nicht.

Obwohl das Leben sich im Südosten der Türkei in den letzten zwei Jahren normalisiert hat, herrscht in vier Provinzen noch der Ausnahmezustand. Anfang des Jahres verschwanden zwei Hadep-Politiker in einer Stadt an der Grenze zum Irak spurlos, nachdem sie auf die Gendarmerie bestellt worden waren. Echte Reformen blieben bislang aus, und auch das jüngst vorgestellte türkische „Nationale Programm“ für die EU ist in der Kurdenfrage sehr vage gehalten.

JÜRGEN GOTTSCHLICH