Seifige, kollektive Erzählung

Soaps sind, trotz fehlendem Humor und unechter Tragik, im deutschen Fernsehen nach wie vor Quotenrenner. Ein neues Lexikon listet die Seifenstücke auf: Alles über Frauenknäste und GZSZ

Tragik gibt es in der Soap nicht.Der Tod befindet sich in der ewigen Schleife des „never ending retardierenden Moments“.

von JÜRGEN KIONTKE

Wenn man einen gemeinsamen Nenner für deutsche Soaps finden wollte, käme man wohl am ehesten auf das Fehlen jeglicher Ironie – der deutsche Soap-Autor, oder noch mehr der Textchef muss ein von Witz gänzlich befreiter Zeitgenosse sein.

Korrespondierend zur postmodernen Automobilproduktion – maßgeblich Gruppenarbeit – könnte man die Erzählarbeit im Soapbereich eine „flache Hierarchie“ nennen: Hier steht eins neben dem anderen und hat sich kaum was zu sagen.

Selbst der Tod spielt nur eine Nebenrolle – gestorben wird in Sendungen wie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ (GZSZ) zwar reichlich. Der Begleittext in den TV-Zeitschriften aber lässt wissen: Der Darsteller des Todgeweihten scheidet aus, weil er ein besseres Angebot hat oder sich als ernsthafter Schauspieler begreift und nach Höherem strebt. Vielleicht nach einem Engagement im deutschen Spielfilm, obwohl dessen Niveau ja auch oft nicht höher liegt als in einer Soap.

Tragik gibt es in der Soap nicht. Der Tod, in der Antike der Schlusspunkt des Handelns, befindet sich in der ewigen Schleife des „never ending retardierenden Moments“. Die Soap hat aber dadurch einen unschätzbaren Vorteil: Sie hört so schnell nicht auf. Denn das Fernsehen kennt ein ungeschriebenes Gesetz: Was lange durchhält, wird Kult. Weil wir einmal angefixt sind, verlassen wir das Serienreich nicht mehr. Anders wäre schwer zu erklären, warum wir der extrem langsamen Erzählweise der Soaps trotzdem gespannt folgen.

Der Erfolg einer solchen Serie kann sich auch ganz ohne Unterstützung der TV-Propaganda einstellen. Boulevardjournalisten berichten davon, dass sich zum Beispiel keiner der Stars der Serie „Hinter Gittern“ im Yellow-Press-Sektor plazieren lässt. Der Grund: Die Serie handelt von Frauen im Knast, oft von lesbischen Frauen. Und das ist nicht gerade ein massenwirksames Thema. Trotzdem liegt die Einschaltquote pro Sendung bei gut fünf Millionen.

Das Thema Soaps in Deutschland scheint also einige offene Fragen zu hinterlassen. Antworten möchte der Soap-Schreiber und -Statist (in „GZSZ“ und „Unter Uns“) Jovan Evermann geben. Mit viel Akribie hat der Kölner das „Lexikon der deutschen Soaps“ verfasst und im Lexikon Imprint Verlag (Schwarzkopf & Schwarzkopf) veröffentlicht.

Das Buch versammelt gut 1.000 Lebensläufe deutscher Serien-DarstellerInnen, aber auch ihre Rollen-Biografien. Vorweg wird eine Beschreibung aller relevanten Serien geliefert. Der Autor war zuständig für die Pressearbeit von „Unter uns“ und „GZSZ“, sein Buch ist ein umfassender Erzählkosmos des ganzen Bereichs – wer sich wissenschaftlich, publizistisch oder einfach aus Fan-Interesse mit dem „stream of consciousness“ deutschen TV-Schaffens beschäftigen will, kommt an diesem Werk nicht vorbei. Selbst die fitzeligste Statistenrolle ist noch aufgeführt.

Leider hat man, vermutlich aus Gründen des Redaktionsschlusses, das „Big Brother“-Personal nicht mehr erfassen können. Doch da werden gewiss andere folgen. Mit der Fleißarbeit hat es sich aber auch schon. Die Serien-Schwarte ist rein affirmativ, unkritisch und folgt dem Stars-&-Sternchen-Muster senderoffizieller „Public Relations“, also Werbung, aufs Genaueste. Negative Stimmen bleiben außen vor.

Dass zum Beispiel die Arbeitsbedingungen in den Produktionsfirmen nicht die besten sind, kann Evermann nicht entgangen sein. In der Regel sind die Drehbuchautoren nach einem Jahr ausgebrannt. Interessantes dazukonnte man letztes Jahr in einem Focus-Interview mit „GZSZ“-Darsteller Reiner Meifert zu seinem Ausstieg aus der Sendung lesen: Da habe es im Schauspieler-Stab doch tatsächlich Bestrebungen gegeben, so etwas wie eine betriebliche Mitbestimmung zu organisieren. Und wie in jedem guten Betrieb der New Economy habe die Firmenleitung zurückgeschlagen und die Hauptakteurin kurzerhand aus der Serie schreiben lassen. Es ist nicht schwer, sich die beruflichen Folgen vorzustellen – schließlich halten wenige Medienkonzerne das Areal fest in der Hand. Ein Eintrag mit dem Titel „Arbeitsbedingungen“ hätte dem Lexikon also gut gestanden.

Auch lernt man wenig über die Philosophie der Soap – und warum sie so viel weniger humorvolles Erzählen hervorbringt als etwa amerikanische oder englische Produktionen. Zudem stellt man sich bei der Lektüre die Frage, ob die Eingrenzung auf klassische „Soaps“ eindeutige Schlüsse zulässt – das Fernsehen ist schließlich eine einzige seifige, kollektive Erzählung – insofern wären die Protagonisten von „Christiansen“ ebenfalls Teilnehmer einer Soap Opera.

Solcherlei Problemen und der gesellschaftlichen Strahlkraft des Formates, der allgemeinen Verseifung auf der Basis von TV-Formaten quasi, stellt sich der Autor nicht. Obwohl es augenfällig wird, wenn man im Lexikon unter „Schröder, Gerhard“ das Statisten-Dasein des Bundeskanzlers in „GZSZ“ erwähnt findet.

Ansonsten ist das Buch leider teilweise schlampig lektoriert; im Hause Imprint ist man sich offensichtlich nicht mal bei der Schreibweise des eigenen Namens sicher. Das ist vielleicht noch verzeihlich, weniger hingegen – bei der vollmundigen Verlagsankündigung, hier lasse man keine Frage des Bereichs Soap unbeantwortet –, dass ausgerechnet bei „Lindenstraße“-Oma Annemarie Wendl (Else Kling) das Geburtsjahr fehlt.

Jovan Evermann: „Das Lexikon der deutschen Soaps“. Schwarzkopf & Schwarzkopf Verlag, Berlin 2000, 413 S., 29,80 DM