Wie wollen wir leben?

Auf zum taz-kongress: Nach zwei Jahren Rot-Grün ist es Zeit, nach Perspektiven zu fragen

von PETRA GROLL

Mit dem Motto „taz muss sein“ starteten wir im vergangenen September eine Rettungsinitiative für die taz. Entweder, so stellte sich die Lage dar, wird die 50.000-Abo-Hürde bis Anfang 2001 genommen, oder es sieht schlecht aus mit der alternativen Tageszeitung.

Nun sind es nicht ganz 50.000 Abos geworden. Doch Redaktion und Verlag haben noch einmal den Gürtel enger geschnürt. Aber ohne die LeserInnen und GenossInnen wäre es nicht gutgegangen. Die Auflage der taz ist seit September um 6.500 gestiegen. Es sind Genossenschaftsanteile über 1,1 Millionen Mark gezeichnet worden. 161 Personen aus Pop und Politik haben sich jeden Tag auf der letzten Seite der Zeitung ins Zeug gelegt und gesagt, weshalb taz sein muss. Die Foto-Galerie auf dieser Seite war mittlerweile so gedrängt voll, dass wir sie grafisch nicht weiter ausbauen konnten. Die taz dankt allen, prominenten wie ganz und gar unprominenten LeserInnen, die sich an der Aktion beteiligt haben, herzlich für ihren Beitrag.

Diskutieren und feiern

Allein dies wäre wohl Grund und Anlass genug, den 22. Geburtstag der taz im April mit einem schönen Fest zu feiern. Und genau das wollen wir tun. Vom 27. bis 29. April. In Berlin. Mit allen, die Lust dazu haben, mit allen, die sich der taz, der alternativen Tageszeitung, verbunden fühlen. Aber das soll nicht alles gewesen sein.

Deshalb haben wir für drei Tage ein großes Haus mit vielen Räumen gemietet und veranstalten rund um die fröhliche Party einen Kongress unter dem Motto: Wie wollen wir leben?

Wir finden, nach zwei Jahren rot-grünem Regierungsexperiment ist es Zeit, erneut eine Debatte um Perspektiven zu eröffnen. Gibt es – noch oder wieder – Ideen, gar Visionen, die Politik nicht vollautomatisch als Realpolitik buchstabieren?

Was geschieht jenseits der parlamentarischen Bühnen? Womit können wir zufrieden sein? Was wollen, was müssen wir verändern? Welche gesellschaftlichen Spielräume haben wir?

Wen wollen wir schlachten? Angesichts von BSE und MKS müssen wir uns fragen: Könnte es dem Menschen nicht auch anders gut gehen?

Wenn Wissenschaftler jetzt mit menschlichen Klonen experimentieren wollen, gibt es dann nicht auch weniger grauenvolle Arten der Nahrungsbeschaffung als Tiermehlfütterung, Massenviehhaltung und Quältransporte? Wenn Containerleben unter Dauerbewachung und pornografischer Overkill in den Massenmedien uns vorgaukeln, Intimität und Privatleben seien qua Fernbedienung und Mausklick ersetzbar, dann fragen wir: Wie wollen wir lieben?

Was ist unter Globalisierung zu verstehen, wenn nicht vor allem eine zunehmende Konzentration des Reichtums im Norden bei gleichzeitig zunehmender Verelendung des Südens? Weshalb wird Afrika dem HI-Virus rettungslos ausgeliefert, wenn wirksame Medikamente zwar gegen internationale Patentrechte verstoßen, aber doch bezahlbar und somit erreichbar wären?

Gibt es globale Strategien solidarischen Handelns? Wie wollen wir miteinander auskommen? Abseits der parteipolitischen Grabenkämpfe um Leitkultur, abseits wirtschaftspolitischer Maßnahmen wie der Greencard. Dürfen wir Gott lästern? Und muss bei Allah, in Ausübung multikultureller Toleranz, jeder Spaß aufhören?

WIE WOLLEN WIR LEBEN?

Das Motto umfasst viele Fragen, die uns alle bewegen. Mit denen sich die taz im Grunde genommen in jeder ihrer Ausgaben beschäftigt. Mal ganzseitig, mal knapp in Form einer kurzen Nachricht. Mal provokant und böse, der Wahrheit entsprechend. Mal engagiert und fachkundig in einem ausführlichen Beitrag zur aktuellen Debatte.

Kommen Sie nach Berlin

Es sind Fragen, die auch Leserinnen und Leser umtreiben. Das sehen wir an den Zuschriften und den entsprechenden Diskussionsforen der taz im Internet. Das erleben wir bei Podiumsdiskussionen in Berlin und bei Genossenschaftstreffen in vielen Städten des Landes. Jetzt trommeln wir alle einmal zusammen: Genossinnen und Genossen, MeinungsmacherInnen, FotografInnen, AnzeigenkundInnen, InterviewpartnerInnen, taz-Oldies-but-Goldies, LeserInnen, PolitikerInnen, ExpertInnen, DruckerInnen, HandverkäuferInnen, BuchhalterInnen und RedakteurInnen der taz. Kommen wir ins Gespräch, beim taz-kongress.