Großbritannien sucht den Weg aus der Krise

Noch nie waren die Bedingungen für eine Landwirtschaftsreform so günstig. Immer mehr Verbraucher sind bereit, dafür auch zu zahlen

LONDON taz ■ Was Rinderwahn, Schweinepest und Salmonellen nicht geschafft haben, gelingt nun der Maul- und Klauenseuche: Sie hat in Großbritannien eine breite Debatte um die Industrialisierung der Landwirtschaft entfacht. Zwar ist die Seuche für Mensch und Tier vergleichsweise harmlos, doch die Bilder der Tier-Scheiterhaufen, die seit dem Ausbruch der Epidemie am 19. Februar in allen Teilen des Landes brennen, sind für die Landbevölkerung zum Albtraum geworden, den Städtern verderben sie den Appetit.

Der Argwohn, mit dem sich beide Bevölkerungsgruppen beobachten, hat seinen Ursprung in der Intensivierung der Landwirtschaft, die in Großbritannien seit Ende des Zweiten Weltkriegs konsequenter und schneller vorangetrieben wurde als in jedem anderen europäischen Land. Zwei Drittel der Kleinbauern, mehr als 330.000, mussten seitdem aufgeben. Ein großer Teil der Stadtbevölkerung hat nach all den Lebensmittelskandalen der letzten Jahre endgültig das Vertrauen in die Sicherheit der Nahrungsmittel verloren. Zum ersten Mal wird die Frage nach dem ökonomischen Nutzen der Landwirtschaft gestellt. Sie trägt nur 1,3 Prozent zum Bruttosozialprodukt bei. Selbst wenn die Seuchenkrise lange andauern sollte, würde die britische Wirtschaft nicht sonderlich geschädigt, argumentieren Analysten.

Subventionierte Tötung

Für die Bauern wäre das freilich eine Katastrophe. Doch die Beschwerden aus anderen Wirtschaftszweigen werden immer lauter, weil der Schutz der bäuerlichen Einkommen auf ihre Kosten geht. Vor allem die Tourismusindustrie klagt über erhebliche Einbußen: Wegen der Seuche haben viele ihren Urlaub storniert. Manche argumentieren, dass man der Seuche ihren Lauf lassen sollte, da das lediglich eine niedrigere Produktivität zur Folge hätte. Eine andere Möglichkeit wäre die Impfung der Tiere, doch die wäre auf Dauer viel teurer als die Massentötung. Darüber hinaus müssten die Bauern die Impfung selbst bezahlen, während sie für die Tötung vom Staat entschädigt werden. „Die Verbraucher kritisieren zunehmend, dass ihre Bedürfnisse ignoriert werden“, sagt EU-Lebensmittelkommissar David Byrne. „Kümmert sich denn jemand um ihre Interessen in den Chefetagen der multinationalen Lebensmittelkonzerne?“

Premierminister Tony Blair hat erst neulich eine grundlegende Reform der Lebensmittelproduktion in Britannien gefordert. Tony Juniper, politischer Direktor der Umweltschutzorganisation Friends of the Earth, sagte: „Gott sei Dank, der Groschen ist gefallen.“ Ob das aber wirklich so ist, muss sich erst erweisen. Zu oft schon hat Blair bei „grünen Themen“ eine Kehrtwende gemacht. Die letzte liegt erst eine Woche zurück, als er hundert Millionen Pfund für alternative Stromerzeugung versprach, während einen Tag später den Autofahrern 1,7 Millionen Pfund Steuern erlassen wurden.

Patrick Holden, der Direktor des Verbands organischer Produzenten, ist dennoch optimistisch, dass die MKS-Krise zu einer Reform der Landwirtschaft führen wird: „Die Bedingungen sind günstig. Es geht bei der Landwirtschaft schließlich um Arbeitsplätze, um die Umwelt und um die Gesundheit.“ Bisher werden nur 3 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche organisch bewirtschaftet. Holden will lokale Produkte fördern, um die Transportwege, die zur rasanten Verbreitung der Seuche beigetragen haben, zu verkürzen. „Grafschaft für Grafschaft muss es eine Frage der Ehre sein, die lokalen Bauern und ihre Produkte zu unterstützen“, sagt er.

Fleisch vom Erzeuger

Die Bevölkerung scheint mitzumachen: 1997 gab es nur einen einzigen Bauernmarkt, im vorigen Jahr waren es 100, jetzt sind es 300. Eine halbe Million Menschen kaufte zu Weihnachten den Festtagsbraten direkt beim Bauern. Die Nachfrage nach organischen Produkten ist um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen, selbst McDonald’s verwendet in Großbritannien zu 90 Prozent Eier von Freilandhühnern.

Dennoch achtet nur eine Minderheit der Briten auf Qualität statt auf den Preis. Zwei Drittel aller organischen Lebensmittel werden von 7 Prozent der Konsumenten gekauft. Die höheren Preise für diese Lebensmittel werden durch Einsparungen an Steuergeldern bei Subventionen und Entschädigung für Bauern aufgewogen. Für die ärmeren Schichten, die wenig Steuern zahlen, aber von billigen Lebensmitteln profitieren, ist diese Rechnung freilich nicht attraktiv. RALF SOTSCHECK