Die Pumpgun des Allmächtigen

Gott ist Pop, die Söhne Mannheims seine Evangelisten: Die 20-köpfige Kapelle um Xavier Naidoo hat ihren Kreuzzug durch Deutschland angetreten

Die Village People sind in der Stadt und singen von ihrer bunten Bilderwelt: Fühlst du dich auch so Armageddon, Baby? Lass uns nach Mannheim zion, denn wer dort wohnt, wird das Jüngste Gericht überleben, oh yeah. Gott ist Pop, daher nehmen wir das/den Glauben leicht und machen uns die Welt, grad wie sie uns gefällt.

So ist das, wenn die Söhne Mannheims auf der Bühne stehen, wie am Montag in der prallvollen Columbiahalle in Berlin: Stets steht ein gutes halbes Dutzend Sänger hinter den Mikros und vor den Erweckten, jeder so ernsthaft, so glaubwürdig, so überzeugend überzogen, dass man unweigerlich an eine Seelenwanderung der Village People aus den discobunten 80ern in die Neuzeit denkt.

Aus YMCA wird Armageddon, aus der Bibel ein donnerschwerer Zitatalmanach, New Yorks Straßenschluchten verwandeln sich ins oberrheinische Tiefland, aus der koketten Anspielung auf Greenwich Village als Zentrum urbaner Popkultur wird ein echtes Village, ein Dörfchen namens Mannheim und damit ein ernst gemeintes Bekenntnis zur heimischen Scholle. Herzlich willkommen bei den Söhnen Mannheims!

Jeder hat hier seine Rolle, jeder hat sein Kostüm, und alles steht – da von Gott gelenkt – in Verbindung mit allem. Edo Zanki kramt den Mittachtziger-Betroffenheitspopper hervor, die jamaikanische Toaster-Fraktion um Jah Meek und Marlon B. malt Toleranz ins Gruppenbild: Sie lockern den Lokalpatriotismus durch Internationalität auf und bilden zugleich ein musikalisches Gegengewicht zur Gitarrensolo-auf-Knopfdruck-Rockfraktion. Der bullige Rolf Stahlhofen übernimmt nonchalant den Part des – selbstverständlich nicht anwesenden – Antichristen Moses P. und damit den Counterpart zum seriösen, das Kreuz der Erleuchtung tragen Künstler Xavier Naidoo.

Letzterer spielt sich selbst, denn eine Rolle wie die seine hat es im deutschen Pop bis dato nicht gegeben. Denn der in Südafrika geborene Sänger besitzt nicht nur eine Soulstimme, die hierzulande konkurrenzlos ist und sich auf der Bühne als wahre Pumpgun der Emotionalität erweist. Nein, auch sein Mut ist einzigartig. Der Mut, sich aus dem höchst erfolgreichen, aber jede Eigenständigkeit erdrückenden Patronat des Moses P. zu befreien, mit dem Naidoo sein über eine Million Mal verkauftes Solodebüt „Nicht von dieser Welt“ aufgenommen hatte. Der Mut, sich über Szene- und Coolness-Codes hinwegzusetzen und die Musik der Söhne Mannheims als die Summe jener Teilchen zu definieren, die knapp 20 Bandmitglieder in den Sound einbringen.

Dass dabei ein unverbundenes Stilgemisch entsteht, bei dem zwar hart um Authentizität gerungen, die Ursprünglichkeit jedes einzelnen Stils aber von durchtrainierter Professionalität erschlagen wird, scheint niemanden zu stören. Dass auf rockistische Schreckgespenster wie Schlagzeugsolo und ellenlanges Gitarrengenudel zurückgegriffen wird, mag ein Problem sein für postmoderne Pop-Ästheten – für Xavier und seine Glaubensbrüder ist es das nicht. Sie propagieren von allem ein Stückchen: Pop, R’n’B, Reggae, Dancehall und HipHop, in der Summe aber entsteht dabei nur die neue Generation Westernhagen. Eingebettet in diesen klanglichen Konservatismus ist ein ebenfalls höchst unverbundenes religiöses Weltbild, das aus einer Mischung von vagem Bibelstudium, Marihuanakonsum und Zufall entstanden sein muss.

Mannheim gerät (un)willkürlich zur auserwählten Stadt Zion, deren Einwohner das Jüngste Gericht überleben. „Den Rest der Welt überfällt große Not/sogar Amerika versinkt in Urin und Kot“, wissen die Söhne Mannheims. Man könnte das für Satire halten, würden die Erweckungsgedanken nicht mit der Ernsthaftigkeit eines Priesterseminars vorgetragen. So aber kann man nur hoffen, dass niemand den Quatsch für bare Münze nimmt, sondern als das, was es letzten Endes ist: der Beweis, dass ein Vierteljahrhundert US-amerikanischer TV-Prediger auch in Deutschland seine Spuren hinterlassen hat.

BJÖRN DÖRING