Wütende Melancholie

Mehr als nur die Summe ihrer Kollegen: Die kalifornische Nu-Metal-Band Deftones spielt in der Columbiahalle

Nu Metal: Tiefbass-Grollen plus HipHop-Rhythmen, kombiniert mit einer Gitarrenarbeit, die zwischen statischen Riffs und gruselig-disharmonischer Melodik changiert. Gern gepaart mit elektronischen Elementen und dezenter DJ-Beteiligung, wozu abwechselnd gerappt und hartmetallisch gebrüllt wird. Essenziell ist der hymnenhafte, eingängige Refrain. Produzent: bevorzugt Ross Robinson. Kommerzielle Verwertbarkeit: mindestens Gold, häufig Mehrfach-Platin.

So oder ähnlich steht es wohl in den Definitionskatalogen der einschlägigen A&R-Abteilungen und Musikredaktionen, um ein Phänomen zu etikettieren, dessen Protagonisten momentan mit ihren Updates altbackener frühneunziger Crossover-Schemata die Charts, Musiksender und Jugendzimmer regieren. Wie wenig diese Formatierung mit der eigentlichen Innovation zu tun hat, lässt sich bei der Betrachtung der Begründer des so genannten Nu Metal festellen – wie zum Beispiel Korn und vor allem den Deftones aus Sacramento, Kalifornien.

Im Gegensatz zum minimal-invasiven Mainstream-Rock von Bands wie Limp Bizkit oder den derzeit allerorten umjubelten Linkin Park (die neben Taproot die Deftones als Vorband auf deren aktueller Tour begleiten) haben die Deftones sich eine Sperrigkeit bewahrt, die ihren kraftvollen und ausgeklügelten Kompositionen einen unverwechselbar spröden Charakter verleiht. Ähnlich wie bei den geistesverwandten Tool speist sich die Wucht der Deftones-Stücke nicht aus inflationärem Power-Chord-Einsatz, sondern ist die Summe unzähliger, miteinander verzahnter Details und Dynamikschwankungen, die alle Instrumente zu einem einzigen Organ verschmelzen.

Die musikalische und textliche Ausdrucksweise der fünf Amerikaner hat dabei in ihrer wütenden Melancholie viel mehr mit den verblichenen Far gemeinsam als mit der marktstrategisch durchgestylten Synthese aus HipHop und Metal, die in den Petrischalen der Plattenfirmen gezogen wird. Keine Macker-Attitüden, keine verkaufsfördernden Sightseeing-Touren durch die Elendsquartiere des zerrütteten Seelenlebens.

Zwar berichtet auch Texter und Sänger Chino Moreno in seinen kryptischen Versen fast ausschließlich von Schmerz und Einsamkeit und ähnlich unerfreulichen Dingen, doch mit der im Nu Metal weit verbreiteten Neigung zum Psychosen-Show-off hat er dabei glücklicherweise nichts gemeinsam. Vielmehr ist jederzeit die Authentizität spürbar, mit der die Musiker ihren Stil leben, als Katalysator für negative Emotionen nutzen und zur Teilhabe anbieten.

Dass eine solche Offenlegung und das Ausagieren von Befindlichkeiten sehr gut möglich ist, ohne sich als Projektionsfläche für seelische Endzeitszenarien und fesches Kaputtheitssurrogat zu gerieren, ist in der Szene, der die Deftones zugerechnet werden, eine rare Erkenntnis. Eine Tatsache, die den Ausnahmestatus dieser Band zusätzlich untermauert. ULF IMWIEHE

Deftones, Linkin Park und Taproot,heute, 21.00 Uhr, Columbiahalle,Columbiadamm 13–21, Tempelhof