Der vergessene Tresen

Wahre Lokale (61): Das „Two Brothers“ in der kubanischen Sierra del Rosario

„Ihr solltet auf dieses Holz klopfen, das bringt Glück!“, meint der quirlige Barkeeper

„Ihr solltet auf dieses Holz klopfen, das bringt Glück“, meint in den frühen Morgenstunden nach einer langen Musik- und Mojito-durchtränkten Nacht der kleine, quirlige Barkeeper Pedro. Der Mann ist auf Zack. Bis zum Morgengrauen klatscht er – wenn er nicht gerade wieder eine Bestellung von uns aufnimmt – zum Takt der Musik des „Quartetto Ermanos Morales“ in die Hände. Dabei hat er so schon alle Hände voll zu tun. Diese Bar hoch oben über dem Stausee von Las Terazzas auf Kuba, abseits gelegen im palmenbewachsenen Hochland, hat es in sich.

Allein schon die Lage. Fährt man von La Habana in Richtung Pinar del Rio, kommt nach 60 Kilometern und mehr als einer Stunde Fahrt die Ausfahrt zum Unesco-Bioreservat der Sierra del Rosario. Eingebettet in den Dschungel dort oben liegt das bezaubernde Hotel „Moka“. Um einen großen und viele kleinere Bäume ist es herum gebaut. Die grünen Holzsprossen liegen im Farbenwettstreit mit den weißen Wänden und roten Ziegeln. Nach jedem tropischen Regenschauer wird das Wasser vom Boden gewischt, und weiter geht das relaxte In-der-Natur-Hocken.

Nicht weit entfernt liegt die historische Kaffeeplantage „Buena Vista Café“. Das offene, lichtdurchflutete Hotel ist für sich genommen schon eine Oase inmitten einer selbst verwalteten kubanischen Dorfkooperative. Doch die Bar „Two Brothers“ ist noch einmal eine Oase in sich, mit ihren schwarzen Rattanstühlen und Tischen und dem Licht, das auf die nach drei Seiten offene Veranda strömt – und dem schönen, hölzernen Tresen, von dem nur wenige wissen, welche Geschichte sich dahinter verbirgt.

Ganz hinten am letzten Tisch reibt sich eine mächtige Palme immer wieder am Balkongeländer. Ganz spät in der Nacht wird Eduardo, der Bongospieler, sagen, die Palme sei der fünfte Musiker im „Quartetto Ermanos Morales“, und von da an werden wir dem „Quintetto Ermanos Morales“ applaudieren. Bei „Yolanda“, dieser Ballade, die auch bei gestandenen Mannsbildern eine leichte Gänsehaut entstehen lässt, bei „Chan Chan“, der Hymne des Buena-Vista-Sozialclub-Maestros Compay Segundo und beim obligatorischen „Hasta siempre comandante“.

Pedro mixt unermüdlich unsere Mojitos, lacht, klatscht, übersetzt brav vom Englischen ins Spanische, nimmt teil an dem musikalischen Leckerbissen in „seiner“ Bar und bleibt doch der unermüdliche Keeper, den du dir überall auf der Welt als Wunschkellner vorstellen kannst. „Du hast ja noch gar nicht ausgetrunken“, kontert er in beinahe fließendem Englisch, wenn du ein neues „Cerveza Cristal“ bestellst und noch ein Rest im Glas oder der Dose ist. Dosen gibt es leider immer wieder, auch hier in diesem Öko-Vorzeigehotel, das so viel Klasse hat.

José und seine Schwester Emilia, diese Verkörperung musikalischer Grazie und Perfektion, die auch bei nur sechs Zuhörern ihrer Combo keinen falschen Ton ohne strafenden Seitenblick zugesteht, erzählen stolz, dass dieses geniale Lied von eben, dieser Auf-Anhieb-Ohrwurm, erst letzte Woche entstanden ist. José hat ihn komponiert.

Dann, in den frühen Morgenstunden kommen wir dem Geheimnis der Bar „Two Brothers“ mit einem Mal ganz, ganz nahe. Es musste diese Frage aus angeheitertem Munde sein, die Frage, ob denn Pedros Brother bald zur Unterstützung kommt und ob er denn der erste oder der zweite der Two Brothers ist, um die Geschichte zu hören, die hier oben jeder kennt und die doch so kubanisch-selbstverständlich gelebt wird. „Schon 1930 gab es eine Bar gleichen Namens in Habana“, erzählt Pedro mit ganz viel Stolz in den Augen. „Und in dieser Bar, an diesem Tresen, da verkehrte auch Mr. Hemingway! Da saß er und hat getrunken.“ Er sagt nur, „da saß er und hat getrunken“. Keine abfällige Bemerkung über den unvermeidlichen alten Suffkopf, der schon in weiß Gott wie vielen Bars gesoffen hat bis zum Abwinken.

Keine erfundene Story für die Touristen, sondern die pure Wahrheit ist das. 1994 ist der legendäre Tresen durch einen aus der Gegend stammenden Minister zum Aufbau im Hotel „Moka“ freigegeben worden, erzählt Pedro. Die Originalbar „Two Brothers“ in der Avenido de Puerto in Havanna wurde aufwändig restauriert, und der vergammelte Tresen wurde aufpoliert und bekam ein neues Domizil in der Sierra del Rosario. Liebevoll streicht der Keeper über das polierte, dunkle Holz und sagt dann diesen Satz, den wir jedes Mal beherzigen werden, wenn wir wieder hier sitzen: „Ihr solltet auf dieses Holz klopfen, das bringt Glück!“

Das Originalschild „Two Brothers“ wurde vor kurzem einfach wieder abtransportiert – zurück nach Havanna in die restaurierte Bar gleichen Namens. Den Tresen jedoch durften sie behalten.

DIETER BERGMANN