Katastrophale Schlamperei

Der Kommissionsbericht zum Unglück im holländischen Enschede bescheinigt Behörden, Firmenbetreibern und Feuerwehr eine Vielzahl von Fehlern, die zum Großbrand führten

BERLIN taz ■ Laxe Kontrollen, „gekaufte“ Genehmigungen und Fehleinschätzungen bei der Bekämpfung eines anfänglich „harmlosen“ Brandes – zu den Verursachern des Infernos von Enschede gehören nicht nur die Betreiber der Firma S. E. Fireworks, sondern auch die Feuerwehr, die Stadtverwaltung und zuständige nationale Behörden wie das Verteidigungs- und Umweltministerium. Zu diesem vernichtenden Ergebnis kommt die „Commissie Oosting“, die im Auftrag der Stadt Enschede, der Provinz Overijssel und der zuständigen Ministerien in Den Haag die Ursachen der Feuerwerkskatastrophe vom 13. Mai letzten Jahres untersucht hat. Gestern stellte sie im Rijksmuseum der Stadt in Anwesenheit einer Vielzahl von Betroffenen ihren Abschlussbericht vor.

Die Untersuchungskommission unter Vorsitz von Marten Oosting hat mit Hilfe ausländischer Experten den Hergang der Katastrophe vom ersten Brand bis zur fatalen Explosion auf dem Gelände einer Feuerwerksfabrik in der ostniederländischen Stadt rekonstruieren können. Auch erklärt der Bericht die enorme Wucht der Detonationswellen.

Bei der Explosion und der anschließenden Feuersbrunst, die an jenem sommerlichen Samstag einen ganzen Stadtteil zerstörten, waren 22 Menschen getötet und an die tausend verletzt worden. Tagelang suchten damals Spezialisten zwischen Ruinen, Schutt und ausgebrannten Autos nach menschlichen Überresten. Etwa 70 städtische Beamte waren mit der Erfassung von Vermissten beschäftigt, deren Zahl sich durch anfängliche Koordinationsmängel zunächst auf über 200, anschließend auf 400, dann wieder 200, am Ende aber auf „nur“ 3 Personen belief. Der materielle Schaden wird auf 1,1 Milliarden Gulden (ca. 900 Millionen Mark) geschätzt. Auf dem 42,7 Hektar großen Gelände, das noch heute aussieht, als wäre es Ziel eines stundenlangen Bombardements gewesen, wurden 200 Eigenheime sowie 311 Wohnungen komplett verwüstet oder schwer beschädigt.

Der anfängliche Brand habe eskalieren können, heißt es in dem Bericht, weil die Betreiber von S. E. Fireworks mitten in einem Wohngebiet unter Verstoß gegen Betriebsgenehmigungen gefährliche Feuerwerkskörper montiert und Feuerwerk statt in feuersicheren Bunkern illegal in Stahlcontainern gelagert hätten. Nicht nur hatten Ruud Bakker und Willem Pater – die noch während des Infernos untergetaucht waren, sich aber nach wenigen Tagen der Polizei stellten – 40 Tonnen mehr Feuerwerk als zulässig auf dem Gelände gebunkert. 90 Prozent der brenzligen Ware gehörte darüber hinaus in die Kategorie der besonders schweren Explosivstoffe. Gegen die beiden Betreiber der Firma S. E. Fireworks wird ermittelt.

Geschlampt hat auch die Stadt Enschede. Sie habe der Firma S. E. Fireworks über Jahre immer wieder Genehmigungen erteilt, ohne zu kontrollieren, ob sich die Firma auch an die Auflagen zu Menge, feuersicherer Lagerung und der Einrichtung von Warnsystemen wie etwa Sprinkleranlagen hielt. Außerdem, so der Bericht, habe die Umweltverwaltung der Stadt versäumt, sich vor der Genehmigungserteilung mit der Bauverwaltung und der Feuerwehr abzustimmen; obwohl der Flächennutzungsplan von 1986 jedwede Erweiterung der Feuerwerker in dem Wohngebiet untersagt, stockte S. E. Fireworks munter auf.

Hart ins Gericht geht die Untersuchungskommission mit den zuständigen Ministerien. Weder das Umwelt- noch das Verkehrs-, das Verteidigungs- oder das Justizressort hätten aus der Katastrophe von Culemborg 1991 Lehren gezogen. Obwohl nach Untersuchungen von 1991 und 1992 hätte klar sein müssen, dass professionelles Feuerwerk in aller Regel als zu leicht klassifiziert wird und unbedingt in feuersicheren Bunkern außerhalb von Wohngebieten gelagert werden muss, habe das Verteidigungsministerium die Verantwortlichen in den betroffenen Kommunen von den Gefahren nicht in Kenntnis gesetzt.

Eine gute Arbeit bescheinigt die Kommission nur den Hilfsorganisationen, die sich nach anfänglichen Schwierigkeiten zu einem einzigartigen Netzwerk zusammengeschlossen hatten, um unter einem Dach den Opfern der Katastrophe in allen finanziellen, rechtlichen und gesundheitlichen Fragen beizustehen. HENK RAIJER