Die Revolution moduliert sich selbst

Der argentinische Sänger León Gieco eröffnete in der Volksbühne das Festival „Musik und Politik“. Beweg dich, sagt der Groove, und das Publikum weiß sich schon mal auf der sicheren Seite: Warum sollten wir schlafen, solange die Gitarren noch brennen?

von ULF IMWIEHE

Stellt man heutzutage im Bekanntenkreis ganz unschuldig die Frage nach Berührungspunkten von Politik und Musik, erstaunen nach allseitigem postironischen Schnaufern die teils unvereinbar gegensätzlichen Positionen. Denken die einen an Rage Against The Machine oder Propaghandi, halluzinieren andere vollbärtige Barden in Wolle und Cord, die Akustikgitarre an die vor trotzigem Zorn bebende Brust gepresst und eine Archaik verströmend. Doch da scheint es tatsächlich noch etwas zu geben. Genau, sagen die OrganisatorInnen des Festivals „Musik und Politik 2001“, und zwar jede Menge. Zum zweiten Mal, nach der letztjährigen Wiederaufnahme der traditionsreichen Veranstaltungsreihe, anlässlich ihres dreißigsten Jubiläums bieten sie neben Vorträgen und Diskussionen zum Thema, eine Reihe von Konzerten auf: Von HipHop und Chanson über Folk und Rock zur Electronic positionieren sich die KünstlerInnen, die ihre Kunst eben nicht nur um ihrer selbst Willen, sondern mit kritischer Stimme ausüben. Ein Ansinnen, auf das sich so unterschiedliche Köpfe wie etwa Knarf Rellöm Ism, Torch oder Stoppok einigen können.

Hier fühlt sich auch der argentinische Sänger León Gieco zu Hause, bezieht er doch, wenngleich deutlich folkloristisch verwurzelt, Einflüsse aus der Rockmusik ebenso in seine Lieder ein wie narrative Elemente des Rap. Gieco, während der Militärdiktatur in seiner Heimat mit dem Nimbus eines Staatsfeindes versehen, stand am Donnerstag zum vierten Mal auf einer Berliner Bühne. Ganz allein singt er zu Beginn in den nahezu voll besetzten Saal der Volksbühne. A cappella erst, dann begleitet er sich ein Lied lang auf der Gitarre, bevor seine Band sich zu ihm gesellt.

Es ist nicht allein die jederzeit spürbare Hingabe des Sängers, die fasziniert: Gieco und seine Band leben ihre Kunst, das wird ganz deutlich. Sie wirken so energetisch, wie es auf Barhockern sitzende Musiker nur sein können. Die zahlreichen Zitate aus folkloristischen und populärmusikalischen Genres werden in unverkennbar lateinamerikanische Strukturen und Harmonien eingebettet. Vermeintlich Bekanntes erhält so plötzlich einen Charakter von Frische, ja fast Befremdlichkeit, und es entsteht ein auditives Amalgam aus Smoothness und konzentrierter Energie.

Es tut dem formatierten Gehör ganz gut, mal wieder einen von Sequenzer und Cubase gänzlich freien Beat präsentiert zu bekommen, der über den mikro-ökonomischen Autismus eines Loops hinausgeht. Das Pulsieren der Band als Zeugnis von Leben ist nicht in einem gesampelten Fragment gefroren, sondern moduliert sich selbst, schreitet voran, mit allen Phrasierungen und winzigen Schludrigkeiten, die nichts anderes sind, als Groove, und zwar einer, der zur Bewegung auffordert. Oder zum Innehalten, wenn León Gieco sich in einer Brüchigkeit mitteilt, deren Intimität trotz seiner betonten Kumpelhaftigkeit nicht peinlich berührt, sondern mehr ein Arm ist, der sich einem um die Schulter legt. Nähe – ohne Offensive oder gar Invasion. Und wenn er die Mundharmonika spielt – und er spielt sie häufig – erinnert er manchmal ein wenig an einen vitaleren Bob Dylan, ohne dabei einen Hauch der mürrischen Müdigkeit seines einstigen Idols zu verströmen.

Nach der Pause zeigt sich die Band von eher phonstarker Seite. Die Barhocker sind verschwunden, die Verstärker ein wenig weiter aufgedreht, und Gieco lebt seine rockige Seite mit ähnlicher Vehemenz aus, wie die Rolle des Balladeurs. Den Musikern gelingt es dabei, muffige Riff-Raff-Reminiszenzen mittels wehmütig intonierter Harmoniegesänge aufzufrischen, und besonders dem mitunter furiosen Spiel des Schlagzeugers ist es zu verdanken, dass der eher simpel gestrickte Rock – früher hätte man ihn mit Attributen wie erdig umschrieben – eine gehörige Spritzigkeit aufweist.

Das Publikum jedenfalls ist begeistert. Gieco wird förmlich auf Händen getragen, jedes Statement, jedes Lied frenetisch gefeiert, und nur das Gestühl verhindert wohl das Aufkommen einer regelrechten Fiesta. Die Partystimmung mischt sich dabei mit dem unvermeidlichen Pathos, das Rockmusik, noch dazu politischer, wohl unausweichlich zu Eigen ist. Wie auf einem jeden derartigen Konzert, von den Dead Kennedys bis zu Midnight Oil, liegt die unausgesprochene Vergewisserung in der Luft: Hier feiern die Guten.

Tatsächlich erinnern die Standing Ovations, die Gieco erhält und der damit einhergehende Energiepegel an die ruhigeren Stellen eines Konzertes geistesverwandter, wenngleich brachialer zu Werke gehender Acts wie etwa der Asian Dub Foundation. Der Bestuhlung, jedenfalls, bekommt es gut, dass nicht sie hier spielen. Ihr Publikum hätte sich wahrscheinlich nicht davon abhalten lassen, das Mobiliar zwecks Partytauglichkeit ein wenig umzuarrangieren.