Kriegslügen und Faxbehauptungen

Wer lügt hier? Scharping, der WDR, ein albanischer Journalist oder die „FAZ“? Über Begründungen für den deutschen Einsatz im Kosovokrieg

Eine Geschichte von Rede und Widerrede: Am 8. Februar zeigte der WDR den Fernsehfilm „Es begann mit einer Lüge“ der Monitor-Autoren Mathias Werth und Jo Angerer.

In diesem Film versuchen die Redakteure, die These der systemathischen Verfolgung der kosovarischen Zivilbevölkerung, mit der unter anderem der Kriegseinsatz deutscher Soldaten begründet wurde, anhand mehrerer spektakulärer Beispiele zu widerlegen.

So wurde der OSZE-Beobachter Henning Hensch zum Massaker von Rogova zitiert: Im Gegensatz zu der Darstellung Scharpings habe eine angebliche Exekution serbischer Zivilisten so nie stattgefunden, das sei auch das offizielle Untersuchungsergebnis Henschs. Eine weitere „Medien-Manipulation“: Mit dem kosovarischen Politiker Kelmendi, der gegenüber des Sportstadions in Priština wohnt, waren die Autoren auf dem Balkon seines Hauses. Kelmendi, der während des Krieges in seiner Wohnung geblieben war, sagte im Film: „Wie Sie sich selbst überzeugen können, blickt man von hier aus genau auf das Stadion. Es hat damals dort keinen einzigen Gefangenen oder eine Geisel gegeben.“

Nach kritischen Berichten unter anderem im Tagesspiegel wurden diese Enthüllungen nun gestern in der FAZ als Fälschungen bezeichnet: Die FAZ bezieht sich auf den albanischen Journalisten Besnik Hamiti, der in Priština für den BR tätig ist und das WDR-Team begleitet hat. Laut Hamiti sei zum Beispiel von Kelmendis Balkon aus das Stadion nicht zu sehen gewesen, außerdem sei der Mann im O-Ton gar nicht Kelmendi, und der Balkon gehöre ohnehin zu einer Nachbarwohnung.

„Ausgemachter Unfug“, sagt dazu WDR-Autor Werth gegenüber der taz. Abgesehen davon, dass Hamiti als „Stringer“ (das sind im TV-Journalismus die Zuarbeiter und Rechercheure) und zeitweiliger Übersetzer keineswegs die Aufnahmen „ständig begleitet habe“, sei der Interviewpartner selbstverständlich Kelmendi gewesen. Man habe außerdem auf Hamitis Vorschlag diese Szenen aus lichttechnischen Gründen vom Balkon einer Nachbarin herunter gedreht, von dem man die gleiche Sicht habe. Auch Hamitis Vorwurf, ein Interview mit einem Mann, der das Massaker von Rogova bezeugt habe, sei nicht in den Film aufgenommen worden, „stimmt einfach nicht“, sagt Werth. Man habe jenes Interview nicht verwandt, weil der Zeuge sich erstens in Widersprüche verwickelt habe und das Geschehen zweitens gar nicht habe verfolgen können: Er habe sich währenddessen versteckt. Ein weiterer Vorwurf: Scharping hat in Bezug auf die Zerstörung kosovarischer Häuser mit Hilfe einer Kerze und eines geöffneten Gashahns gelogen, behauptete Werth. Hamiti habe diese Aussage als „klar gefälscht“ bezeichnet, schreibt die FAZ dagegen, und außerdem Übersetzungsfehler angekreidet. „Wir haben sogar noch mal in die Originalbänder reingehört“, sagt Werth und pocht auf den Wahrheitsgehalt des Films. Außerdem habe Hamiti selbst nach weiteren angeblich auf diese Weise zerstörten Häusern gesucht, aber keine gefunden.

Warum die FAZ die Aussagen Hamitis (durch den Pressezentrum-Chef des KFOR-Hauptquartiers, Oberstleutnant Rettelbach), die auf einem sich schon seit letzter Woche im Umlauf befindlichen Fax nachzulesen waren, gestern abdruckten, kann sich Werth nicht erklären. Sie seien „sachlich falsch“, und dazu noch teilweise widersprüchlich zu dem, was die FAZ in Form ihres Redakteurs Matthias Rüb zum Thema geschrieben habe. Über Hamitis Beweggründe kann Werth ebenfalls nur spekulieren: „Ich hatte während der Dreharbeiten das Gefühl, dass Hamiti sehr zurückhaltend war, was die Rolle der UÇK betrifft, er hat sich mehrfach geweigert, Fragen zu übersetzen“, so Werth. Er könne sich vorstellen, dass Hamiti Druck von den Albanern bekommen habe. JENNI ZYLKA