Barocke Räudigkeit

Gott lebt zwar noch, aber dafür riecht er schon ein bisschen muffig: Marilyn Manson segnete im Velodrom ein dankbares Publikum mit einer perfekt durchgestylten amerikanischen Rock-Show

von ULF IMWIEHE

Brian Warner alias Marilyn Manson gleicht an diesem Abend im rappelvollen Velodrom mehr als einmal einem derangierten Erlöser. In segnender Pose bietet er seine Songs dem überraschend bunten Publikum dar – ein Gestus, in dem sich sein ganzes Konzept wiederfindet. Ist seine Lieblingsrolle doch die eines zu Unrecht dämonisierten Messias, der auf der Suche nach Schönheit das Schlechte in der Welt katalysiert und vorführt.

Als Rockstar-Äquivalent mittelalterlicher Sündenesser, die ihr Mahl über den Betten Sterbender einnahmen, um deren Verfehlungen in sich aufzunehmen, ist Marilyn Manson sich der Verdammnis gewiss, wenngleich mit vollem Bauch resp. Konzerthallen und Chartnotierungen. Hierzulande verbinden ihn viele wohl mehr mit der Addams Family als mit Namenspatron Charles Manson. Die Künstlichkeit ist einfach zu evident, das Spiel mit christlichen und popkulturellen Ikonographien wird bei aller so treffsicheren wie plakativen Ästhetik eben nicht als subversiv wahrgenommen, sondern als (zweifellos cleveres und unterhaltsames) Showelement.

Auf der Bühne gibt Manson routiniert das rotzende und fluchende Rockvieh, seine hervorragend eingespielte Band setzt sich in Szene, ohne ihrem Frontmann das Rampenlicht zu stehlen, und nur das Wissen über wohldosierte Ausfälle auf vergangenen Konzerten erzeugt eine Art Spannung, die über die unbestritten perfekte Bühnenshow hinausgeht.

Manson, mal als Papst verkleidet, dann wieder auf Riesenstelzen wie ein monströses Insekt über die Bühne staksend, bietet eine Performance, die wie ein Zusammenschnitt seiner Videos wirkt und seine Person dabei ganz klar in den Mittelpunkt stellt. Interessant ist aber auch, den Keyboarder zu beobachten, der sein auf ein schwingendes Stativ montiertes Instrument regelrecht durchwalkt und den Psychotiker doch ziemlich überzeugend gibt. Faszinierend ist dieses auf Inszenierung und barocker Räudigkeit aufgebaute Spektakel schon, in seiner Professionalität und der herausgestellten Weirdness der Musiker. Doch mehr als die Oberfläche möchte man dann lieber doch nicht sehen.

Die erzeugte Atmosphäre ähnelt zwar zunächst der Stimmung, in die man beim Betrachten der Roxys-Installation von Kienholz gerät – jene düstere Lounge, in die man sich am liebsten fläzen möchte, um mit ihrem muffigen Geruch in den Kleidern weiterzugehen. Aber bei Marylin Manson will man genau das eben nicht. Erahnt man doch hinter all der durchgestylten Psychopathie die Leere ausgeklügelten Image-Designs. Es bleibt wohl nicht mehr, als die Band als das zu betrachten, was sie unter dem Strich ist: Eine perfekte amerikanische Rock-Show, die – so viel muss man Marilyn Manson doch zugestehen – mehr bietet als nur ein Update von Kiss oder Alice Cooper.

Das Publikum im Velodrom jedenfalls wirkt zufrieden. Es hat bekommen, was es sich erhofft hatte. Und mehr kann man wohl nicht erwarten, wenn die einzigen Variablen beim Live-Auftritt in der Zerlegung der Backline oder einem Abbruch des Konzertes bestehen.