Kamelle für eine tolerante Stadt

Jecken und Narren wollen die Berliner für rheinischen Frohsinn begeistern. Erstmals seit 43 Jahren gibt es wieder einen Karnevalsumzug. Doch Diepgen will nicht mitfeiern. Die Brauereien sind knauserig. Und die Polizei sorgt sich um die Ordnung

von STEFAN KAISER

Berlin ist eine tolerante Stadt. Menschen allerlei Kulturen haben hier ihren Platz gefunden und mit ihnen auch die Sitten und Gebräuche aus fernen Ländern. Längst hat sich der Berliner nicht nur mit Döner und Falafel, sondern auch mit exotischen Großveranstaltungen wie dem Karneval der Kulturen und dem Christopher Street Day angefreundet. Doch jetzt kommt eine neue Herausforderung hinzu: der rheinische Karneval.

Erstmals nach 43 Jahren wird am Sonntag, 25. Februar, wieder ein Karnevalszug samt Prinzenpaar durch die Stadt rollen. Etwa 80 Gruppen und Festwagen sollen ab 13.11 Uhr von der Wilhelmstraße über Unter den Linden zum Roten Rathaus ziehen.

Um in der karnevalistischen Diaspora rheinischen Frohsinn zu verbreiten, haben sich Karnevalsvereine aus Berlin und Brandenburg im „Karnevalszug Berlin“ zusammengetan. Doch schon auf den ersten Etappen ihrer Mission deutet sich eine geradezu babylonische Sprachverwirrung an. Man werde Tonnen von „Kamelle“ und „Strüßje“ auf die Zuschauer werfen, drohte gestern Harald Grunert, Wirt der Bonner Enklave „Ständige Vetretung“ und Präsident des Vereins. Unschuldige Ordnungshüter müssten damit rechnen, dass weibliche „Jecken“ über sie herfallen und sie „bützen“ würden. Mit Schlachtrufen wie „Heijo“ und „Helau“ wolle man die Berliner mitreißen.

Ob die sich das gefallen lassen werden, ist fraglich. Eberhard Diepgen etwa habe eine Einladung zum Mitfeiern bereits abgelehnt, erklärte Grunert. Und auch die Brauereien Schultheiß und Berliner Kindl, die man als Sponsoren gewinnen wollte, trauten dem organisierten Frohsinn wohl nicht so recht. Sie versagten ihre Unterstützung.

Neben dem rheinischen Karneval wartet noch eine weitere kulturelle Subversion. Schon gestern Nachmittag tönten Hymnen auf das Badener Land über die Spree. Denn in der „Ständigen Vertretung“ der Bonner feierten 150 Berliner als Mitglieder der Vereinigung Schwäbisch-Alemannischer Narrenzünfte. Mit dem rheinischen Karneval habe man keine Probleme, beruhigte deren Präsident Roland Wehrle. Selbst als das von den „Rheinländern“ ernannte Prinzenpaar mit seinem Gefolge das Kölsch-Lokal stürmte, feierten die Süddeutschen unbeirrt weiter. Lediglich am preußischen Ordnungssinn der Berliner Polizei stießen sich die Narren: Als sie zum Reichstag weiterziehen wollten, erteilte ihnen der Einsatzleiter die Auflage, in geordneter Reihe auf dem Gehweg zu laufen.