Streit um einen Aufkleber

Nah dran an der Volksverhetzung sei die Aktion Noteingang, findet ein Jungliberaler aus Halle. Unterstützung bekommt er vom CDU-Landesfraktionschef

aus Halle THOMAS GERLACH

„Leben Sie in Halle?“ Die Frage scheint Hansjürgen Schwarz oft zu stellen. „Ach, in Leipzig?“ Er nickt anerkennend, dehnt den Städtenamen wie ein Kaugummi, der aus einer besseren Welt kommt, die hinter seiner Buchhandlung beginnt. „Die Aktion ist nicht rufschädigend. Wer glaubt denn, dass Touristen kommen, bloß weil Halle durch die Aufkleber vielleicht eine befriedete Region wird? Die fahren auch in Zukunft lieber nach Südfrankreich.“ Damit kann Halle nicht konkurrieren, nicht mal mit Leipzig. Die Händelfestspiele, das Universitätsjubiläum, die Franckeschen Stiftungen – da kommen Besucher. Aber Touristen wie am Dresdner Zwinger? Hat Halle einen Ruf? Oder doch nur Georg Friedrich Händel?

Hansjürgen Schwarz hat zwei Aufkleber an der Ladentür angebracht. Den ersten zu Beginn der Aktion, den zweiten am Morgen danach, von innen. Da war der erste zerkratzt. Im Oktober war das, seitdem ist Ruhe. Die Unibuchhandlung Dausien ist Noteingang für alle, die von Rechten verfolgt werden, wie zu Himmelfahrt vor sieben Jahren in Magdeburg oder bei der Jagd auf Omar Ben Noui in Guben. Oder im vorigen Sommer in Dessau, als drei Skins den Mosambikaner Alberto Adriano erschlugen. Die Aufkleber zeigen den Weg in die Kneipe, den Laden und die Straßenbahn. „Warum ist so ein Schild notwendig? Darüber müssen wir doch reden“, ruft der Buchhändler. Jetzt wird geredet in Halle. Seit Januar laut wie in keiner zweiten Stadt, dank der hiesigen FDP und Christoph Bergner, dem CDU-Fraktionschef im Magdeburger Landtag.

„Christoph Bergner?“ sagt Hansjürgen Schwarz und dehnt die Wörter. „Parteiengezänk!“ Lieber erzählt er von der Schulklasse aus der Bretagne, die mehr über die Aktion erfahren will. Und über Halle auch. Ein Blick aus dem Erker zur Straße hinab. Was wäre, wenn jetzt Skins einen Asylbewerber durch die Stadt trieben? Vorbei an Cierpinski-Sport, hinüber zur Barfüßerstraße ins Restaurant Delphi? Oder zum FDP-Büro in die Spiegelstraße? Oder die Große Ulrichstraße entlang Richtung Unibuch? Hinein käme er mit etwas Glück überall. Ins Delphi bis Mitternacht, in die Unibuch bis halb sieben, bei Cierpinski etwas länger. Und bei der FDP müsste er klingeln. Das Delphi und die Unibuch haben Aufkleber, Cierpinski und die FDP nicht.

Es wird keiner durch die Stadt getrieben. Gestern nicht und heute nicht. Und morgen wahrscheinlich auch nicht. Wahrscheinlich – dieses Wort ist das Problem. Halle hatte Überfälle: Auf einen Koreaner, auf einen armenischen Studenten, auf einen Schwarzen. 1998 trieben Jugendliche einen Mosambikaner durch Halle-Neustadt, Bilanz: gebrochene Hand und erblindetes Auge.

Peter Kehl ist ein fröhlicher Student. Mäuse rennen im Käfig, auf dem Bildschirm rennen Aktienkurse. Kehl ist Chef der Jungen Liberalen von Sachsen-Anhalt und wirkt so frisch, als hätte er gerade die Autorennbahn unters Bett geschoben. Kein Chaot, kein Steinewerfer und auch kein Schläger. Und doch hat Peter Kehl in der letzten Zeit Prügel bezogen. Der Junge hat sich im Dezember einiges von der Seele geschrieben: von den wenig bedachten Aktionen der Linken, von dem Aufkleber und davon, dass in US-Reiseführern vor Halle gewarnt werde. Von der Unverfrorenheit, pauschal zu behaupten, Hallenser seien fremdenfeindlich, die Stadt gefährlich. Und von der linken Mobilmachung auch. Dieses Wort setzte er in Anführungszeichen. Es ist kein Krieg in Halle. Dann schrieb er von der wehrhaften Demokratie, von Recht und Gesetz. Eine Art Aufsatz eben. Von Peter Kehl, Jurastudent, Anfang zwanzig. Und Landesvorsitzender der Jungen Liberalen.

Da landet so ein Text schon mal in der FDP-Hauspostille Das liberale Halle. Und von dort gelangt er ins Internet. Da finden ihn die Grünen und hängen die Sache an die große Glocke. Die Oberbürgermeisterin von der SPD merkt es und Christoph Bergner auch. Und die Junge Freiheit, die merkt’s auch. Die Oberbürgermeisterin ruft im Gegenzug auf, Initiativen gegen Gewalt und Fremdehass zu fördern. „Das Ansehen der Stadt wird durch die Aktion eher gefördert.“

Das mit dem Internet sei so nicht geplant gewesen, rudert Peter Kehl. Aber nun ist der Text drin, und Kehl rudert zurück. „Das ist doch auch so’n Argument, dass die, die sich nicht beteiligen, gleich in so eine Ecke gestellt werden.“ Peter Kehl sammelt Argumente. Der Artikel „Rechte Schläger – linke Chaoten“ sollte ein Angriff sein, jetzt ist sein Autor mit Verteidigung beschäftigt. „Man animiert mit dem Aufkleber die Rechten doch zu Maßnahmen. Die kriegen doch ein Forum dadurch!“ rudert Peter Kehl. Eine ganze Stadt werde verdächtigt. „Das steht doch in gefährlicher Nähe zum Straftatbestand der Volksverhetzung.“

Kehl stapelt Argumente. Wer weiß, was noch kommt? Bei der ersten öffentlichen Kontroverse im Rathaus war er im Urlaub, da stand Christoph Bergner ziemlich allein herum und ruderte auch, aber nach vorn. Trotzdem gehen manche Dinge nach hinten los. Peter Kehl bekam Post von der Jungen Freiheit. Der Aufkleber sei zum Eigentor geworden, steht in einem Artikel, zum Eigentor für die Stadt –Kronzeuge: Peter Kehl. Er selbst scheint nicht mehr sicher, wem der Ball ins Netz gegangen ist. Der sympathische Kerl wird Parteikarriere machen. Wenn er will.

Der Hallenser Christoph Bergner hat sie hinter sich. Bis zum Ministerpräsidenten hat er es gebracht, seit Jahren ist er CDU-Fraktionschef in Magdeburg. Sein Büro im Landtag ist nicht schlecht. Ledersofa, lang wie ein Auto, am Ende Bergner, mit Weste, korrekt, vor sich Papier, ganz oben das schwarzgelbe Ding. Zuerst hat er geschwiegen. „Die Resonanz ist doch lächerlich!“ Stadtverwaltung und Verkehrsgesellschaft haben die meisten Aufkleber genommen, 700 Stück, und dann noch Sparkasse, Gewerkschaft, Kirchen. Mehr als drei Viertel der über tausend Aufkleber gingen an gesellschaftliche Einrichtungen. „Was soll denn so ein Aufkleber an einem Polizeipräsidium? Ich bitte Sie!“

Doch Landesregierung und Ministerien wollen die Aktion unterstützen. „Dann kam der Kehl mit seiner Website und die nächste Entrüstungswelle.“ Zeit, dass Christoph Bergner dem FDP-Nachwuchs eine Zuflucht bietet und ein paar Argumente dazu. „Eine Kampagne mit offiziösem Charakter, die – bewusst oder unbewusst – als Instrument der politischen Polarisierung dient, hört doch auf, eine Entscheidung des Bürgers zu sein!“

Und dann sind da noch die Investoren. Seit BMW kundgetan hat, eine Fabrik zu bauen, ist Hektik in den Wirtschaftsdezernaten ausgebrochen: in Cottbus, Schwerin – und Halle. Im Sommer wird BMW sich entscheiden. Wenn Halle verliert, weiß Bergner den Grund. Wegen der Rechsradikalismusdiskussion soll eine Delegation aus Fernost absagen, keine Milliardeninvestition, nur ein Lehrgang. Immerhin, man kann Leute erschrecken. Bei der IHK in Halle ist nichts von Rufschädigung bekannt. Allerdings gebe es Fragen bei der Wirtschaft: Warum ein solches Theater wegen der Aufkleber? Das sei ein Zeichen und gut, sagt die Sprecherin.

Christoph Bergners Weste steht wie ein Harnisch, er verschränkt die Arme, spricht von Recht und Gesetz und Zivilcourage, nennt den Weißen Ring als Opferorganisation und verweist auf Statistik: Rechtsextreme Gewalttaten liegen unter einem Prozent. Es ist still im Büro, bald wird er es räumen. Die Landes-CDU hat gerade einen anderen Spitzenmann gekürt. Die Aktion Noteingang sei kein Thema, sagt der Neue.

Halle: Mittagszeit im Delphi in der Barfüßerstraße. Besitzer Dimitris Zourdantonis wacht über das Geschäft. Das Delphi haben Hallenser zum Lieblingsrestaurant gekürt. Keine Frage, er macht mit bei Noteingang. Nein, der Aufkleber hat noch keinen gestört. Nein, Zuflucht hat hier noch keiner gesucht. Aber wenn, gibt es kräftige Kellner: Griechen, einen Inder, einen Bulgaren, auch einen Türken. Herr Zourdantonis weiß, wie man sich am Abend sicher durch Halle bewegt, seit vier Jahren lebt er hier: „Ich habe immer ein Messer dabei.“ Er wird es nicht brauchen. Wahrscheinlich.