Im Schatten des Butts

Matthias Schober und Carsten Wehlmann sind beim Hamburger SV als Torhüter angestellt, bei den Spielen aber müssen sie meist ihrem Kollegen zusehen – und still hoffen, dass der danebengreift

„Man muss sich als Torhüter auch mal einen Fehler erlauben können“

von CHRISTOPH RUF

Ersatztorhüter stehen meist am Rande der Selbstdemütigung. Beim Hamburger SV machen derzeit gleich zwei erstklassige Keeper diese Erfahrung: HSV-Torhüter Nummer zwei und drei, Matthias Schober und Carsten Wehlmann, richten ihre Augen ganz besonders intensiv auf Hans-Jörg Butt, den Stammtorwächter der Hanseaten. Dass sie dabei bewusst auf einen Fehler ihres Kollegen-Konkurrenten lauern, würden sie allerdings dementieren.

Denn auch wenn der Glanz des künftigen Leverkusener Keepers nach einigen Patzern ein paar Kratzer abbekommen hat – die beiden Ersatzleute können sich ganz offenbar viel zu sehr in die Lage von Butt hineinversetzen, um in Schadenfreude auszubrechen. „Es gibt ja zwei Trainertypen“, sagt so Carsten Wehlmann: „Der Typus Lorant wechselt oft mal den Keeper. Das motiviert den jeweiligen Ersatzmann natürlich zusätzlich.“ Für die Mannschaft sei so etwas allerdings schlecht: „Man muss sich als Torwart auch mal einen Fehler erlauben können.“ Und der zweite Typus? Ist der des Hamburger Trainers Frank Pagelsdorf, der an seinem Stammkeeper festhält – und damit genau so verfährt, wie das auch Wehlmann an seiner Stelle täte.

Trotz allen Verständnisses, trotz aller Einsicht in die vermeintlichen Bedürfnisse des Kollektivs: Zufrieden sind derzeit beide Keeper nicht. Das Schicksal von Eberhard Trautner, der es seit 1981 beim VfB Stuttgart auf nur 32 Bundesligaspiele brachte, wollen sie jedenfalls nicht durchleiden. Dafür waren ihre Erwartungen im Spätsommer doch viel zu groß: Nach fünf Jahren Vereinszugehörigkeit wechselte Wehlmann ausgerechnet von St. Pauli zum Ortsrivalen – und machte sich dadurch in den letzten Spielen zum Ziel teilweise niveauloser Anfeindungen. Das alles bestimmt nicht nur, „weil man beim HSV auch auf der Bank unheimlich viel lernen kann“, wie Wehlmann behauptet. Sondern wohl doch eher aufgrund dessen, was er mit „sportlicher Perspektive“ mehr verdunkelt denn skizziert: dem Wissen nämlich, dass sich Butt am Ende der Saison nach Leverkusen absetzen würde. Ein Jahr auf der Bank, dann Uefa-Cup oder gar Champions League – ein optimistisches Kalkül, das im Sommer noch durchaus möglich schien. Doch dann brach sich Wehlmann Ende August den kleinen Finger. Und da man beim HSV nicht auf den erst 21-jährigen Thomas Hillenbrand als zweiten Ersatzkeeper vertrauen wollte, wurde der international erfahrene Matthias Schober (24) von Schalke 04 verpflichtet.

Der Schober? Genau der. Der Mann, der schon im Uefa-Cup spielte und deutlich vernehmbar ans Tor zur Nationalmannschaft klopfte. Und dem dann plötzlich – und nicht nur für die Fans unverständlich – mit Oliver Reck ein Mann vorgesetzt wurde, der mit damals 34 Jahren eher im Winter denn im Herbst seiner Karriere stand. Nach zehn Jahren Gelsenkirchen („Ich habe da halt schon in der Jugend gespielt“) mutet es dennoch verständlich an, wenn einer wie Schober erst mal stillhält und auf den Faktor Zeit, den Alterungsprozess der um elf Jahre älteren Nummer eins also, hofft.

Wie aber muss jemand ausgestattet sein, der Woche für Woche ohne zu murren auf der Bank Platz nimmt, selbst wenn er sich für wesentlich besser als die angebliche Nummer eins zwischen den Pfosten hält? Matthias Schober zögert nicht eine Sekunde: „Geduld und Ehrgeiz sind das Wichtigste.“ Und natürlich die Bereitschaft, auch dann mit vollem Einsatz zu trainieren, wenn sich der Vordermann seit Monaten weder Verletzung noch Formtief leistet.

Ob das an den Nerven nagt? Carsten Wehlmann überlegt nur kurz. „Nein“, sagt er dann, „als Torwart weißt du das vorher.“ Überhaupt könne man sich mangelnde Konzentration im Training nicht leisten: „Dann pflaumen dich die Kollegen schnell an. Man muss eben gerade als Keeper jederzeit punktgenau fit sein. Du kannst von einer Minute zur anderen eingewechselt werden.“

Doch so unabdingbar diese Beharrlichkeit für einen Torsteher sein mag, als Nummer zwei ist man damit stets nur ein Haarbreit von der Selbstdemütigung entfernt. „Zu Beginn der Saison wurde mir signalisiert, dass mein Platz jetzt gar auf der Tribüne sei“, erinnert sich Schober an Schalker Zeiten. Da kam das Angebot aus Hamburg im September – Wehlmann hatte sich gerade verletzt – gerade recht: Vertrag beim HSV bis Saisonende, Butt weg, HSV zieht Option, Schober spielt international. So jedenfalls hatte sich das der ehemalige Schalker, ähnlich wie zuvor Wehlmann, zumindest ausgemalt. Doch es kam erneut anders: Zwar wechselt Hans-Jörg Butt am Ende der Saison tatsächlich nach Leverkusen, doch der HSV hat erneut umdisponiert und in der Winterpause den Rostocker Martin Pieckenhagen als Butt-Ersatz verpflichtet.

Wehlmann und Schober müssen ihren Tatendrang also wohl erneut zügeln, erneut die Ungeduld in halbwegs produktive Bahnen lenken, erneut eine Perspektive finden. Oder erfinden? „Ich vertraue darauf, dass Pagelsdorf nach Leistung aufstellt“, macht sich Wehlmann Mut, „schließlich kam Butt damals auch aus der Regionalliga und hat mit Richard Golz jemanden verdrängt, der acht Jahre Stammtorwart war.“ Matthias Schobers Sehnsucht nach einem Déjà-vu hält sich hingegen in Grenzen, er hält eine andre Lösung parat: „Zum Saisonende bin ich weg.“