„Nicht besonders rational“

Der SWR hat eine für heute geplante Doku über Norman Finkelsteins Polemik zur „Holocaust-Industrie“ und die Debatte um die Entschädigungszahlungen abgesetzt. Ein Gespräch mit der Autorin über ihren Film, Finkelstein und deutsche Zurückhaltung

Weil „Beifall von der falschen Seite“ zu erwarten war, hat der SWR kurzfristig die Dokumentation „Holocaust-Industrie: Ein Buch – ein Skandal“ von Tina Mendelsohn aus dem Programm genommen (siehe taz vom 3. 2.). Mendelsohn (36) lebt in London und hat für den SWR bereits „Der Skandal um die Wehrmachtsfotos“ gedreht, der heute anstelle des abgesetzten Films wiederholt wird (22.45 Uhr, SWR).

taz: Seit wann haben Sie an Ihrem Film gearbeitet?

Mendelsohn: Seit Herbst 2000. Ich bin vom SWR gefragt worden, ob ich mich für das Thema interessieren könnte. Natürlich habe ich mitbekommen, dass Finkelstein auch hier in England ein höchst kontrovers diskutiertes Thema war.

Wie beurteilen Sie Finkelsteins Thesen und sein Buch über die „Holocaust-Industrie“?

Ich war eigentlich enttäuscht. Es ist kein in irgendeiner Weise belangvolles Buch. Es ist eine polemische Streitschrift zu einer heißen, wichtigen Sache. Was mich persönlich interessiert hat, war ja nicht das Buch. Das hab ich gelesen und gedacht: Oh Gott, so ein wichtiges Thema, und dann so – als Streitschrift, als wütendes Pamphlet.

Die offizielle Geschichtswissenschaft beschäftigt sich nur sehr zurückhaltend mit der Thematik.

Ja, es ist schade, dass sich die meisten Historiker so ablehnend verhalten. Natürlich ist es fünfzig Jahre nach Beginn der Wiedergutmachungszahlungen spannend zu fragen, was daraus geworden ist: Wo stehen jüdische Organisationen, wo die Überlebenden, wo die Menschen, die damals die Wiedergutmachung mit angeschoben haben?

Die Verantwortlichen beim Südwestrundfunk bemängeln, dass Ihr Film keine klare Stellung bezieht . . .

Mein Film ist in keiner Weise eine Eins-zu-Eins-Abbildung des Buches. Im Film kommen Leute vor, die das Buch gar nicht berücksichtigt. Ben Ferencz zum Beispiel, der erste Organisator von Entschädigungsverhandlungen in den Fünfzigerjahren. Und Ferencz fasst in ein paar Sätzen die ganze Problematik zusammen: Wie will man das wieder gutmachen?

Hätten Sie nicht trotzdem den Charakter von Finkelsteins Polemik deutlicher benennen müssen?

Mein Film fängt mit einem riesigen Krach an: Finkelstein schreit rum, und dadurch erkennt man sofort, was Finkelstein ist: Nicht besonders rational, alles andere als sachlich. Er kann auch nicht sachlich sein, der Film erklärt warum: Finkelstein kommt sozusagen keinen Millimeter weg vom Schicksal seiner Eltern, die beide die Vernichtungslager überlebt haben. Mein Film nimmt an einer Stelle ja auch das Wort „Holocaust-Industrie“ auf, ein fürchterlich massives Wort. Diese Zuspitzung von Finkelstein wird doch schon dadurch Unsinn, dass das jüdische Establishment in der Debatte um die jetzt laufenden Verhandlungen eben gerade nicht mit einer Stimme spricht: Auch Ben Ferencz macht im Film ja deutlich, dass er mit der Art und Weise, wie heutzutage die Entschädigungen ausgehandelt werden, unglücklich ist.

Sie überlassen es auch hier dem Zuschauer, sich ein eigenes Urteil zu bilden.

Ich muss dem Zuschauer – und das sind erwachsene Leute – doch überlassen, wie er bestimmte Aussagen einschätzt. Das hätte ich gar nicht anders machen können. Ich möchte auch niemanden verletzen. Aber ich denke, dass es wichtig ist, dass dieses Thema ehrlicher diskutiert wird. Die Ressentiments, die mir während der ganzen Recherche begegnet sind, sind schlimm: Der Verdacht, der bei vielen Leuten da ist, was eventuell mit diesen Geldern gemacht wird. Dass das offen angegangen wird, ist mir ganz wichtig.

Finkelsteins Buch kommt in dieser Woche in Deutschland heraus . . .

Und ich glaube, dass es weit weniger schlimm ist, als dies in manchen Medien erscheint. Vor allem muss man sich in Deutschland in Acht nehmen, mit welchen Worten man Finkelstein bedenkt. In Deutschland wird das Thema ohnehin sehr ängstlich diskutiert, das lässt sich wahrscheinlich auch nicht verhindern. Aber es muss diskutiert werden.

Wie beurteilen Sie die Rezeption des Buches in Großbritannien und den USA im Vergleich zu Deutschland?

In England werden solche Provokationen geliebt, hier melden sich alle zu Wort. Die BBC hat einen Film gemacht, der Guardian Auszüge nachgedruckt. In den USA ist das Buch dagegen schnell in ein sehr giftiges Fahrwasser gekommen. Nichtsdestotrotz wird das Thema jetzt diskutiert, und zwar eher das Thema als Finkelstein. In Deutschland wird das Ganze entweder sehr akademisch behandelt – oder abgelehnt.

Im Film sagt der Historiker Hans Mommsen, das Buch produziere „Ressentiments, die notwendigerweise unter deutschen Bedingungen (...) antisemitische Haltungen unterstützen“. Ihre Einschätzung?

Ich sehe die Gefahr. Ich sage ja auch im letzten Satz des Films, dass Finkelstein bereits heute von Neonazi-Websites für ihre Zwecke instrumentalisiert wird. Das ist aber doch nicht zu verhindern. Man kann doch nicht sagen, man lässt deshalb das Buch nicht drucken. Wir brauchen einen offensiven Umgang mit dem Thema, es muss diskutiert werden können.

Dass Ihr Film dazu beiträgt, ist durch die vorläufige Absetzung durch den SWR erst mal unterbunden. Norman Finkelstein selbst ist dagegen am Mittwoch im ZDF-Nachtstudio und diskutiert mit Rafael Seligman und dem Historiker Peter Steinbach.

Vielleicht ist eine Diskussionsrunde mit Finkelstein selbst einfacher, es wird dann auch in erster Linie um das Buch gehen. Ich würde mir dennoch wünschen, dass mein Film noch läuft.INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG