Kein Abriss unter Strieders Nummer

Eine Million Wohnungen sollen in ganz Ostdeutschland abgerissen werden. Berlin wehrt sich – wie lange noch?

Abriss von Wohnraum ist auch in Berlin kein Tabu mehr, wie das Beispiel Sozialpalast zeigt

Auch wenn er gute Nachrichten lieber selbst verkündet – über die von Sachsen-Anhalts Bauminister Jürgen Heyer (SPD) hat sich Bausenator Peter Strieder (SPD) gefreut: Im Vergleich mit Städten wie Wolfen, Magdeburg oder Stendal, sagte Heyer am Montagabend bei einer Veranstaltung im Deutschen Architekturzentrum (DAZ), herrschten in Berlin geradezu wunderbare Verhältnisse.

Auf 14,2 Prozent oder 184.000 Wohnungen ist der Leerstand in Sachsen-Anhalt inzwischen angewachsen. Entgegen der weit verbreiteten Meinung konzentriert sich der Leerstand dabei nicht auf den Plattenbau. Während in den Großsiedlungen „nur“ jede zehnte Wohnung leer steht, ist es in den innerstädtischen Altbauquartieren wie etwa in Halle sogar jede dritte. Insgesamt stehen in Ostdeutschland eine Million von sieben Millionen Wohnungen leer. Solche Befunde sind es, die eine Kommission der Bundesregierung zum wirtschaftlichen Strukturwandel in den neuen Bundesländern veranlasst hat, das Thema Wohnungsabriss auf die Tagesordnung zu bringen. Der Vorschlag: öffentlich geförderter Abriss in der Platte bei gleichzeitiger Sanierung in den Innenstädten. Nur so, glaubt Kommissionsmitglied Ulrich Pfeiffer vom Forschungsinstitut Empirica, könne der Entstehung von „Verfallsgebieten“ entgegengewirkt werden.

Noch gibt es solche Gebiete in Berlin nicht, da waren sich alle Diskutanten am Montagabend einig. Doch ganz so wunderbar, wie Strieders Kollege aus Magdeburg meinte, sind auch die Berliner Verhältnisse nicht. Immerhin stehen auch in Berlin 100.000 Wohnungen leer, und das bei schrumpfender Bevölkerung, wie Strieder betonte. Zwar verteilt sich dieser Leerstand noch über die verschiedenen Wohnungstypen und über die einzelnen Stadtbezirke. „Sind in einem Gebiet aber erst mal zehn Prozent der Wohnungen leer“, warnt Pfeiffer, „wird aus der Rückzugs- eine Fluchtbewegung, in deren Folge die Einkaufszentren zusammenbrechen und nur die Immobilien zurückbleiben.“ Pfeiffers Fazit: Berlin hat lediglich eine Schonfrist.

„Strategien gegen die Vernichtung von leerem Wohnraum“ zu finden, hat sich der Bausenator beim Architekturgespräch im DAZ vorgenommen. Immerhin hat Berlin bei der Sanierung der DDR-Großsiedlungen im Vergleich zu den anderen Ostländern eine Vorreiterstellung eingenommen. Mit einigem Erfolg: Hellersdorf, bei der Wiedervereinigung noch eine Baustelle, hat inzwischen sein Plattenbauimage ablegen können. Und auch in Marzahn konzentriert sich der wachsende Leerstand vor allem auf die unsanierten Bestände. Strieders Credo lautet deshalb: „Kein Abriss zur Beseitigung von Wohnungsleerstand in Berlin“. Stattdessen setzt der Senator ganz auf Wohnumfeldverbesserung, neue Quartierskonzepte, neue Urbanität auch in den Großsiedlungen. Gleichwohl steht die Abrisslobby auch in Berlin in den Startlöchern. Längst schon werden in Marzahn, etwa an der Südspitze, die ersten Abrissszenarien durchgespielt. Selbst dem Schöneberger Sozialpalast wollte CDU-Baustadtrat Gerhard Lawrentz vor kurzem wieder mit der Abrissbirne zu Leibe rücken, und das, wie Strieders Leiterin des Quartiersmanagements, Monica Schümer-Strucksberg, betonte, obwohl dort die Leerstandsrate von 25 auf 10 Prozent gefallen sei.

Auch Ulrich Pfeiffer geizte am Montag nicht mit Tabubrüchen. „Es könnte eine Überlegung sein, dass man bei der Sanierung schlechtere Gebiete in eine Abwartestellung gibt und zuerst die besseren saniert“, sagte er seinem Duzfreund Strieder. So nämlich könne man verhindern, dass der Leerstand nur weitergereicht werde. Mit anderen Worten: Es muss ein Teil des Bestandes geopfert werden, um den anderen zu retten. Aber noch hat Berlin, wie gesagt, eine Schonfrist. UWE RADA