Wahlberliner

Was verband 1941 Kästner, Adenauer, Havemann und Freisler? Das Telefon und das „amtliche Fernsprechbuch“

„Hallo! Heil Hitler! Hier Hoffmann!“ So dürfte sich der „Reichsbildberichterstatter der NSDAP“ 1941 am Telefon gemeldet haben. Seine Adresse und Nummer standen ebenso im letzten Telefonbuch der alten Reichshauptstadt wie die der 315.000 weiteren Berliner Fernsprechteilnehmer.

Hartmut Jäckel hat in diesem Fernsprechbuch geblättert und fasziniert festgestellt, dass nach 8 Jahren nationalsozialistischer Herrschaft die Repräsentanten der demokratisch-liberalen Gesellschaft der Weimarer Republik selbstverständlich noch in Berlin wohnten. Verzeichnet sind aber auch Persönlichkeiten aus dem Kaiserreich, Mitglieder und Gegner des NS-Regimes, jüdische Ärzte und Rechtsanwälte, denen das Recht auf einen Anschluss noch nicht entzogen war, und junge Menschen, die erst in den beiden deutschen Nachkriegsstaaten bekannt werden sollten. Mit Name, Titel, Berufsbezeichnung, Telefonnummer und Adresse waren sie im Telefonbuch aufgeführt, bereit, den Hörer abzunehmen, wenn das Telefon klingelte. Hartmut Jäckel stellt 231 von ihnen mit kurzen biografischen Skizzen vor. Diese Skizzen zu einer Momentaufnahme der Berliner Gesellschaft im Jahre 1941 zusammenzusetzen, bleibt allerdings den Lesern vorbehalten, die entweder alt genug sind, um einen großen Teil der deutschen Geschichte selbst miterlebt zu haben, oder die sich intensiv mit der jüngeren Vergangenheit auseinander gesetzt haben. Die Bedeutung der zahlreich genannten Institutionen für die jeweiligen Lebenswege – vom „Wandervogel“ über das „Generalgouvernement“ bis zum „Parlamentarischen Rat“ oder dem „Ministerrat der DDR“ – erschließt sich den Enkeln der Fernsprechteilnehmer von 1941 nicht von selbst.

Anspruchsvoll ist das Buch auch im Hinblick auf die zeitliche Einordnung der einzelnen Lebenswege. Manche der Beschriebenen hatten ihre berufliche Karriere 1941 bereits abgeschlossen, andere waren auf ihrem Höhepunkt, wieder andere hatten sie noch vor sich. Indem alle Biografien schlicht chronologisch erzählt werden, wirken die Porträtierten merkwürdig zeitlos. Auf welcher Etappe ihres Weges sie das Berlin im Kriegsjahr 1941 erlebten, geht in der Chronologie ihrer Biografien leider unter. Jäckel verschenkt damit zum Teil seine wirklich originelle Buchidee.

„Menschen in Berlin“ bietet zwar einen beeindruckenden Blick auf eine weitaus vielschichtigere Gesellschaft als man, wissend um die Macht des nationalsozialistischen Regimes, vermutet hätte. Wie ein Roman lesen lässt sich Jäckels Buch allerdings nicht – aber wer erwartet das schon von einem Telefonbuch?

SABINE VOGEL

Hartmut Jäckel: „Menschen in Berlin“. 400 Seiten, DVA, München 2000, 49,80 DM