Knapp vorbei am Nasenbein

Joe Jackson versucht sich auf seiner Deutschlandtour an großstädtischen Kleinstopern für einsame Fünfzigjährige

Zunächst macht sich der Sampler selbstständig. Kaum Platz für Applaus, die kurzen Unterbrechungen zwischen den Titeln an den falschen Stellen und nur zwei Stücke, die man kennt. Nach vierzig Minuten sagt Joe Jackson dann guten Abend und wünscht eine angenehme Pause. Die Leute sind verwirrt. Warum redet Joe nicht mit uns?

Ein Gemunkel geht durchs Foyer der Alten Oper Frankfurt, die an diesem Abend beinahe ausverkauft ist. Dass Jackson kein großer Sänger ist, das weiß man. Aber dass der Sound zum Weglaufen matschig und überhaupt alles viel zu leise kommt, das kann es doch nicht gewesen sein. In solchen Momenten hat Frankfurt etwas von New York: Selbst jene, die 93 Mark bezahlt haben, um dem 45-jährigen Jackson nahe zu sitzen, murren nicht gleich, sondern machen sich Gedanken über technische Probleme. Denn auch sie können nicht recht unterscheiden, ob das Konzert mit Wellengezische oder Autolärm begonnen hat. Ob nun Broadway oder Atlantik, auch die Latino-Schiene wollte nicht funktionieren, als Jackson zum Einstand eine Rasseldose in die Höhe warf, die dann auf dem Rückweg haarscharf sein Nasenbein streifte. Zum Glück floss kein Blut, und so ging’s einfach weiter in der Midi-Playback vorne auf der Bühne.

Nach der Pause setzt Jackson sich ans Klavier und singt seine großen Hits: „Be My Number Two“ und „Is She Really Going Out With Him“ – dafür ist man schließlich gekommen. Die Achtzigerjahre waren Joe Jacksons große Zeit, mit „Night And Day“ und „Body And Soul“. Dass er damals auch jazzbeeinflusste Musik gemacht hat, ist heute nicht mehr zu hören. Und dennoch keine Spur davon, dass sich groß was geändert hätte. Dass der öffentlich-rechtliche Radiosender vor Ort in den vergangenen Wochen seine alten Hits gespielt hat, mag vielleicht dazu geführt haben, dass die Zielgruppe der 25-Jährigen kurz aufhorchte, schließlich hat Jackson seit zehn Jahren nichts groß Neues mehr durchsetzen können. Der Saal füllte sich dann aber doch vor allem mit jenen um die vierzig.

Die Betroffenheitslyrik der Singer-Songwriter, die Anfang der Achtzigerjahre als teilnehmende Beobachter durch die New Yorker Szenen streiften, hat auch Joe Jackson nie ganz abgelegt. Nun sind die Protagonisten seiner Songs mit ihm gealtert. Da ist die 50-jährige Managerin, von der er erzählt, die am Montagmorgen auf dem Weg zum Büro einsam durch New York eilt und traurig ist. Sie ist erfolgreich und Single und ein Fan der Oper, die sie – um das psychische Elend perfekt zu machen – natürlich immer allein besuchen muss. Oh Schreck, Joe, ist es wirklich so schlimm bestellt mit deiner Nachbarschaft? Man kennt das Phänomen schon von Elvis Costello. Vorsicht ist ja immer geboten, wenn Songwriter anfangen, sich in Miniopern zu versuchen. Als gäbe es nicht schon genug formenorientierte Gefühlsduselei in dieser Welt.

Jackson präsentiert die neuen Songs seines Albums „Night And Day II“, das im Spätherbst des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde. Das Publikum harrt der Dinge. Die spürbare Zurückhaltung, die ihm entgegenschlägt, kommentiert Jackson mit dem Satz, dass, historisch gesehen, bislang jedes seiner neuen Werke zunächst auf Ablehnung oder gar Feindschaft traf. Dabei ist er ständig bemüht, Anknüpfungspunkte herzuleiten und auf Selbstzitate hinzuweisen. Doch klar ist, dass eben nichts mehr so richtig einfach und eingängig klingt wie seine großen Hits von einst, die er im Nachhinein als Betriebsunfälle bezeichnet hat.

Und das ist das Problem mit Jackson 2001: Es plätschert zweieinhalb Stunden dahin, ohne Höhepunkte und erkennbare Soli. Aber auch die Storys, die von entlaufenden Teenagern oder sich prostitutierenden Transvestiten handeln, vermögen kaum noch ein spannendes Porträt vom Leben in der amerikanischen Metropole zu zeichnen. Das Einzige, was bei Joe Jackson heute auch live noch so richtig funktioniert, sind Riffs – jene ein, zwei entscheidenden Takte Musik, an denen man wiedererkennt, was einem lieb und wichtig war. Sie haben sich eingefressen in die Erinnerung.

CHRISTIAN BRÖCKING

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