Und täglich lacht die Sonne

Vor 25 Jahren war Scharm al-Scheich ein Militärposten der Israelis, heute ist die Stadt an der Südspitze des Sinai die Topadresse unter den Bade- und Tauchdestinationen am Roten Meer

von ANDREA WURTH

Mohammed ist 25 Jahre alt und Reiseleiter. Seit zwei Jahren arbeitet er in Scharm al-Scheich bei einer großen ägyptischen Agentur. Mehrmals pro Woche begleitet er Gruppen auf Tagesausflügen zum Katharinenkloster oder in den Coloured Canyon, zwei der meistbesuchten Ausflugsziele auf dem Sinai. Ein anstrengender Job, der in der Regel um sechs Uhr morgens beginnt und mit etwas Glück 10 bis 12 Stunden später endet, wenn er als Letzter in Scharm den Bus verlässt. Vor dem Feierabend, zwischen 9 und 10 Uhr abends, wird im Büro die Arbeit für den nächsten Tag vergeben, und wenn ihn dann noch nicht die Müdigkeit eingeholt hat, setzt er sich mit Kollegen noch auf eine Wasserpfeife ins Beduinencafé in Naama Bay, dem Touristendorf von Scharm.

Mohammed hat noch keine Frau. Hätte er eine, würde sie sicher nicht in Scharm al-Scheich, sondern vermutlich in Damanhur, in Kairo oder Alexandria leben. Die meisten, die hier arbeiten, lassen Frau und Kinder in ihrer Heimatstadt, oft viele Busstunden entfernt. Alle vier oder fünf Wochen gibt es ein paar Tage Urlaub, der für eine Fahrt nach Hause genutzt wird. Eine Familie in Scharm al-Scheich zu haben, ist ein Luxus, den sich nur wenige leisten können. Obwohl die Einkommen in der Tourismusbranche für ägyptische Verhältnisse sehr hoch sind – sie liegen etwa zehnmal über dem Gehalt eines beim Staat beschäftigten Lehrers –, sind sie immer noch zu niedrig für das Leben in Ägyptens teuerster Stadt.

Allein die Mieten verschlingen Unsummen: Umgerechnet etwa 2.500 Mark kostet die Dreizimmerwohnung, in der Mohammed zusammen mit zwei Kollegen lebt, Einzimmerwohnungen sind kaum unter 1.000 Mark zu haben. Mit Klimanlage in allen Zimmern, Einbauküche und Satellitenfernsehen ist diese Wohnung zwar gut ausgestattet, doch das rechtfertigt noch nicht die hohe Miete. Auch die Kosten für Wasser, das im Unterschied zu anderen ägyptischen Städten nicht subventioniert ist, und die Lebenshaltungskosten liegen weit über dem ägyptischen Durchschnittsniveau. Da genügt ein Gang durch den Supermarkt in Eastmar, Mohammeds Wohnviertel. Hier gibt es zwar alles – von Dosen-Foot über frisches Obst und Gemüse aller Art bis zu italienischem Mozzarella oder französischem Camembert –, aber alles hat auch seinen gesalzenen Preis.

Möglich macht dies der boomende Tourismus auf dem Sinai. Goldgräberstimmung herrscht allerorts. Nur knapp fünf Flugstunden von Europa entfernt, kann man hier im Winter Sonne, Strand und glasklares, meist sogar noch über 20 Grad warmes Meerwasser genießen. Die Hauptattraktion der Halbinsel liegt allerdings nicht über, sondern unter dem Meeresspiegel: die Korallenriffe des Roten Meeres. Da die Riffe an vielen Stellen wenige Meter vor der Küste liegen, kann man sich mit Taucherbrille und Schnorchel, an manchen Stellen sogar trockenen Fußes – nämlich auf schwimmenden Stegen – dieser bizarren Unterwasserwelt nähern.

Ganz anders abtauchen kann man bei einem Trip ins Hinterland der Sinai-Küste, bei einer Fahrt hinein in die grandiose Felswüste des Hochsinai mit ihren zerklüfteten Felsformationen, atemberaubenden Schluchten und ein paar abgelegen Oasen, in denen die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Inmitten eines gottverlassenen Gebirges liegt das berühmte Katharinenkloster, das heute noch von einer kleinen griechisch-orthodoxen Mönchsgemeinschaft bewohnt wird. Hinter dem Katharinenkloster beginnt der Aufstieg auf den Gipfel des Gebel Musa, wo Moses angeblich die Zehn Gebote empfangen haben soll.

Auf der Rückfahrt zur Küste tut’s ein kurzer Stopp im Gazellental, dessen karge Wüstenszenerie an eine Mondlandschaft erinnert. Beduinenkinder verkaufen selbst gefertigte Hals- und Armbänder und betteln um Süßigkeiten oder Kugelschreiber. In bescheidenem Maße profitieren auch die Beduinen vom Tourismus: Sie arbeiten vor allem als Fahrer und organisieren Kamel- und Jeeptouren in die Berge. Alle Versuche der ägyptischen Regierung, sie in die Gesellschaft zu integrieren und sie zu loyalen Staatsbürgern zu machen, sind allerdings nicht von durchschlagendem Erfolg gekrönt – die Mehrheit der Beduinen fühlen sich nicht als Ägypter, sondern als Beduinen.

Alte Menschen sieht man wenig in Scharm al-Scheich, arabische Frauen auch nicht. Die ägyptische Tourismusbranche ist eine Männerdomäne, genauer gesagt, eine Domäne junger Männer. Wer einige Jahre in dieser Branche gutes Geld verdient und gespart hat, kann eine Familie gründen und in irgendeiner anderen Stadt ein Geschäft eröffnen, ein Café oder einen Handel. In Scharm al-Scheich zu bleiben, ist für die meisten nicht das Ziel – zumindest nicht für die ägyptischen Arbeitskräfte.

Auch für die Mehrzahl der Ausländer, die man hier trifft, dürfte das wohl zutreffen. Mal schnell ein paar Wochen, eine Saison als Tauchlehrer arbeiten, aussteigen auf Zeit, und dann wieder ab nach Europa oder Amerika. Und dennoch: Der Ausländeranteil in Scharm al-Scheich ist extrem hoch, und mittlerweile gibt es sogar Kindergärten und internationale Schulen für den Nachwuchs derer, die mehr als nur einen Sommer lang hier bleiben. Vor einigen Jahren war von einer solchen Infrastruktur noch nichts in Sicht, erzählt Sarah aus Schweden, die zum Tauchurlaub auf den Sinai kam und sich in den Tauchlehrer verliebte. Die heute 31-Jährige packte in Schweden kurzerhand ihre Koffer und siedelte nach Scharm al-Scheich über, wo sie seither selbst als Tauchlehrerin arbeitet. Ein Traumjob für sie, wenngleich der Arbeitsalltag in diesem Beruf weit entfernt ist vom Dolce-far-niente-Image, das der Branche gerne anhaftet.

Zehn Stunden Arbeit an sieben oder acht Tagen die Woche für ein vergleichsweise mageres Entgelt – da muss man schon sehr verliebt sein in Sonne, Meer und blauen Himmel. Viel Zeit bleibt nicht für Privatleben oder Freunde – in diesem Punkt geht es allen gleich, die im Tourismus arbeiten. Kontakte zu ägyptischen Kollegen gibt es, Freundschaften auch. Doch obwohl viele Tür an Tür wohnen und der Umgang miteinander freundlich ist, bleiben die Welten letztlich verschiedene: Während die einen ihren Traum vom Leben unter ewigem Sonnenschein leben wollen, träumen die anderen von einem besseren Leben an irgendeinem Ort in Ägypten, nur nicht in Scharm al-Scheich.