„Wir holen sie nur dort ab“

Eine neu gegründete Firma für Suizidberatung betreut in Frankfurt arme Kleinanleger am Aktienmarkt, die nach ihrem Vermögen jetzt auch ihr Leben verlieren möchten

Hin und wieder kommt es vor, dass ein ruinierter Kleinanleger am Dachfirst umkehrt

Zu den ganz großen Gewinnern des abgelaufenen Börsenjahrs zählen mit Sicherheit Scheidungsanwälte, Hersteller von Psychopharmarka und Bestattungsunternehmer, denen in diesen Wochen Scharen von Neukunden, so genannte Kleinanleger, zugelaufen sind. Ehen brechen auseinander wie Reisig, weil das Haus nicht abbezahlt oder das neue Auto nicht gekauft werden kann. Psychogebäude fallen zusammen wie ein Kartenhaus, weil etwa irgendwelche schwer angesagten EM-TV-Wachstumswerte das Ersparte und Geliehene zu circa 95 Prozent in einer Niemandsbucht verklappt haben. Wer dann noch erkennt, dass das gute alte Sparbuch im vergangenen Jahr mehr Gewinne abgeworfen hätte als die Renditen für Aktien am Neuen Markt, wird gern nach seinem Vermögen jetzt auch sein Leben lassen.

Das alles vorauszusehen war nicht schwer. Dem Börsenboom pflegt, wie Erfahrungen aus dem Mutterland des Kleinaktionärswesens, den USA, zeigen, der Suizidboom auf dem Fuße zu folgen. So verwundert nicht, dass findige Unternehmer hierzulande bereits die Neugründung einer Agentur betrieben haben, die ihre Klienten auf dem unerfreulichen Weg nach ganz unten berät und begleitet. „Was wir anbieten“, sagt Silvio Plath, einer der beiden Geschäftsführer von „Werther & Plath“, „sind normale Dienstleistungen. Wir vermitteln die entsprechenden Anwälte und Ärzte. Und wir betreuen dann auch die zum Letzten Entschlossenen.“ Die Nachfrage, besonders nach der Suizidberatung, sei derzeit groß, verrät Plath, betont aber, dass seine Agentur keinerlei technische Anleitung zur Selbsttötung anbiete, die heutzutage jedem Kinderbuch entnommen werden könne. „Es geht hier hauptsächlich um Stil- und Typberatung, um Etikette. Als Kleinaktionär kann man schließlich nicht so aus dem Leben scheiden wie jeder dahergelaufene Depri.“

Das Angebot der Agentur, die in der Frankfurter Schillerstraße in unmittelbarer Börsennähe residiert – nicht wenige der Klienten kommen zu Fuß –, umfasst vom Premium-Suizid bis zum Selbstmord von der Stange alles, was das lebensmüde Herz begehrt. „Das ist oftmals“, erklärt Plath, „auch abhängig davon, was im Portemonnaie noch drin ist.“ In der Luxusklasse wird kein Detail dem Zufall überlassen: Von der Haarfarbe, Kleidung, Musikbegleitung, eventuell Hotelzimmer bis hin zum Briefpapier und dem Ghostwriter für die letzten Worte ist alles geregelt. Die Agentur beschäftigt so genannte „Location-Scouts“ und bietet Paketlösungen an: Selbstmord im Flugzeug, Selbstmord im Theater – alles geht. „Ein Klient“, erzählt Plath, „wollte seinem Leben unbedingt in der NDR-Talkshow ‚3 nach 9‘ bei Alida Gundlach ein Ende setzen. Es war nicht leicht, doch wir haben das gefeaturet. Natürlich wurde die Szene später geschnitten.“

In der Billigversion wird dagegen meist nur ein günstiger ICE-Abschnitt oder die Adresse eines Hauses, in dem die Dachluke offen steht, vermittelt. Je nach Auftragslage offeriert die Agentur auch Last-Minute-Angebote, denn hin und wieder kommt es vor, dass ein Kleinanleger am Dachfirst umkehrt. Im Programm sind sogar Gruppen- und Familientarife, und selbstverständlich gebe es bei „Werther & Plath“ auch eine Geld-zurück-Garantie. Unzufriedene Klienten seien aber noch nicht wiedergekommen.

Manch einer reserviert sich eine „Selbstmord-Option“ am Telefon. Vor kurzem habe sich, verrät Plath, ein Spitzenpolitiker auf Bundesebene ein Angebot für einen „Selbstmord beim Joggen“ erstellen lassen. Er sei dann aber völlig überraschend zurückgetreten – von dem Angebot.

Schwer angesagt sind nach Auskunft Plaths im Moment „Themen-Selbstmorde“, bei denen beispielsweise kein Fön ins Badewasser geschmissen wird, sondern ein Laptop, mit dem noch bis zum Schluss am Neuen Markt gezockt wurde. Immer wieder gern werde auch die Selbstverbrennung im frisch zur Zwangsversteigerung ausgeschriebenen Haus genommen – das sei zurzeit der Hit. Ethische Bedenken plagen die Mitarbeiter von „Werther & Plath“ nicht. „Sorry“, meint Plath, „die Leute werden ja von obskuren Analysten und Anlageberatern ins Verderben getrieben, nicht von uns. Wir holen sie nur dort ab.“

RAYK WIELAND