Die Bananenseuche

Auf den Plantagen Nicaraguas ist das in den USA hergestellte Pestizid Nemagon lange eingesetzt worden. Arbeiter und deren Kinder leiden heute unter Hautkrankheiten und Missbildungen

aus Chinandega TONI KEPPELER

„Die Ärzte haben mir gesagt, ich soll nach Hause gehen und auf den Tod warten“, sagt Lucas Barahona. „Ich, meine Kinder, meine ganze Familie.“ Barahona ist 44, sieht aber aus, als wäre er mindestens 60. Bei seinen Kindern ist das Verhältnis von Anschein und tatsächlichem Alter genau umgekehrt. Die zehnjährige Tochter ist so klein, als wäre sie vier. Sie kann nur mit Mühe gehen. Und der vierjährige Sohn sieht aus, als wäre er noch ein Baby. Er kann sich noch nicht einmal alleine aufrichten. „Sie haben keine Knochen im Leib“, sagt der Vater. Er selbst hat Knochenkrebs, leidet unter Hautausschlägen und Atembeschwerden.

Barahona und seine Familie sind Opfer des Allzweckpestizides Nemagon. Drei Menschen von rund 22.000 in Nicaragua. Das in den USA produzierte Gift ist bis mindestens Ende der Siebzigerjahre auf Bananenplantagen eingesetzt worden. Aber Umweltschützer fanden in unterirdischen Depots der Standard Fruit mehrere hundert Fässer Nemagon. Die Lagerhaltung legt nahe, dass das Gift noch weit über die Siebzigerjahre hinaus eingesetzt wurde.

Barahona hat auf einer Plantage in der Nähe von Chinandega in der pazifischen Küstenebene Nicaraguas gearbeitet. Sie gehörte damals der Standard Fruit Company. Der Konzern weigert sich, die vergifteten Arbeiter zu entschädigen. Die geben nicht klein bei. Sie wollen von der Standard Fruit, von anderen Bananenriesen und von den Herstellern Schadensersatz von mehr als einer Milliarde Mark: Gut 100.000 Mark für jeden Arbeiter plus eine lebenslängliche Rente. Dazu noch einmal 50.000 Mark für jedes geschädigte Kind.

Der Prozess soll in den USA geführt werden. Das ist teuer und kann Jahre dauern. Aber nach einem tagelangen Hungerstreik vor dem Parlament in Managua wurde im Oktober ein Gesetz verabschiedet, nach dem der Staat die Prozesskosten der Kläger übernimmt, falls diese vor Gericht unterliegen sollten.

Viele werden ein Urteil nicht mehr erleben. Alleine in diesem Jahr sind in der Gegend von Chinandega fast hundert ehemalige Plantagenarbeiter an den Folgen einer Nemagon-Vergiftung gestorben. „In den Siebzigerjahren wurde das Zeug ohne jede Schutzvorkehrung angewendet“, sagt der Gewerkschafter Victorino Espinales. Und Barahona erzählt: „Die haben aus dem Flugzeug gesprüht, und wir standen drunter.“ Die Folgen: Knochenverformungen, Hämatome, Hautkrebs, Kurzsichtigkeit, Atembeschwerden, Herzstörungen, Nervosität. Und: Sterilität bei Männern und Frauen. „Wir haben schon über 700 nachgewiesene Fälle“, sagt Espinales.

In der Provinzstadt Olanchito im Norden vor Honduras schlug vor gut zwei Jahren der Arzt Omar González Alarm. In seinem Krankenhaus kam fast ein Prozent der Kinder ohne Gehirn zu Welt. Den Schaden führte er auf den Einsatz von Nemagon zurück. Doch eine Regierungskommission stellte nach gerade einmal zwei Monaten Untersuchung fest: Ein unmittelbarer Zusammenhang lasse sich nicht herstellen.

Zur ersten Klage kam es 1993. Rund 25.000 ehemalige Plantagenarbeiter aus Lateinamerika und Asien forderten von einem runden Dutzend US-amerikanischer Chemiekonzerne und von den Bananenkonzernen Dole (Standard Fruit), Chiquita und Del Monte Schadensersatz. Vor allem Shell, Dow Chemical und Occidental Chemical strebten einen Vergleich an und sind bereit, insgesamt rund 95 Millionen Mark an sterile Männer und Frauen zu bezahlen. Bis zum 15. November, sagt Gewerkschafter Espinales, sind alle an der Sammelklage beteiligten Nicaraguaner untersucht. Er rechnet mit mindestens tausend Fällen von Sterilität. Nach seinen Berechnungen müsste für jeden betroffenen eine Abfindung von etwa 9.000 Mark herauskommen.

„Die dachten wohl, dass der Fall für sie damit erledigt ist“, sagt der Anwalt Rafael Solis Cerna. Doch er interpretiert die Entschädigungen als Schuldeingeständnis, das Geld sei lediglich eine kleine Anzahlung. Um den eigentlichen Schadensersatz, sagt er, wird erst noch gestritten werden müssen. Und das muss in den USA sein. Auch weil dort mit höheren Summen hantiert werden kann.

Nach dem Sieg der Sandinisten 1979 hat Standard Fruit seine Plantagen aufgegeben. Seither werden sie von Kooperativen betrieben. Der Konzern kauft die Ware nur noch auf – frei Schiff ab dem Hafen Puerto Cortés in Honduras. Ein Sieg vor einem nicaraguanischen Gericht nutzt den vergifteten Arbeitern deshalb gar nichts. Wenn die Konzerne nicht zahlen, könnten die Richter von Standard Fruit gerade einmal die Einrichtung eines kleinen Büros beschlagnahmen.