Identifikation mit den Geächteten

■ Montage der Attraktionen: Ein Kenneth Anger Programm im 3001

Müsste er sich selbst beschreiben, käme etwas dabei heraus wie „der verpilzte Rennaissance-Mensch einer Avantgarde, die längst jenseits der 30 liegt und süßlich nach Verwesung riecht“. Kenneth Anger ist immer gut für eine mythische Überhöhung, etwas psychedelischen Satanismus und zwei, drei gute Zitate. Sein Kommentar zur Filmkunst: „Ich habe Filme immer als etwas böses verstanden; der Tag, an dem das Kino erfunden wurde, war ein schwarzer Tag für die Menschheit“. Das sagt ein Mann, der in keinem Kompendium für Underground-, Experimental- und/oder Kunstfilme fehlt, als Verfasser der Skandalchronik Hollywood Babylon Weltruhm genießt, der inzwischen 70 ist und immer noch nicht zur Ruhe kommen will.

Im puritanischen Amerika der Vierziger aufgewachsen, identifizierte sich Anger als Künstler und Homosexueller frühzeitig mit den Geächteten der Gesellschaft; in der Folge entwickelte er eine bis zum heutigen Tag andauernde Faszination für das Dunkle, Abseitige und Verborgene. In den Fünfzigern entdeckte er den englischen Okkultisten, den „Oskar Wilde der Magie“, Aleister Crowley und reiste zusammen mit dem unorthodoxen Sexualforscher Kinsey (der mit dem gleichnamigen Report) nach Cefalu, wo sie als erste die pansexuellen Wände von Crowleys Abtei von Thelema entdeckten. Aber das ist eine andere Geschichte, wie die mit der Paganen-Hochzeit von Keith Richards und Anita Palmberg und mit der goldenen Tür ...

Die Filme von Anger sind große Kunst oder geniale Scharlatanerie, meist beides. Halb Symbolismus, halb Dokumentarismus, basieren sie auf einer inter-narrativen Montage der Attraktionen, wie sie Panzerkreuzer Eisenstein forderte. Dabei feilt er wie ein Besessener an jedem Detail. Seine Filme sind zum Teil mit der Hand nachkoloriert, setzen sich aus irrwitzig vielen, kurzen Schnipseln zusammen und haben Jahre gebraucht, um fertig zu werden. Viele bleiben fragmentarisch, sein Frühwerk ist fast vollständig vernichtet (ca. 10 Kurzfilme aus der Zeit von '37 bis '51) und den Großteil des legendären Lucifer's Rising hat Hauptdarsteller Bobby Beausoleil in der Wüste vergraben, in der Folge der Morde an Sharon Tate wanderte er als Mitglied der Manson Family in den Knast – heute hält er den Film noch immer versteckt und ...(das ist noch eine andere Geschichte).

Mit Inauguration Of The Pleasure Dome zeigt das 3001-Kino Angers ersten, mit 38 Minuten zumindest vorabendfüllenden Tonfilm, übrigens anno dazumal Gewinner des „L'age d'Or Awards“ beim International Experimental Film Festival in Brüssel. Mit dabei ist die legendäre Skandalnudel und Tagebuchschreiberin Anaäs Nin, Jean-Paul Satres ... (eine andere Geschichte). Der Film liegt in mehreren Versionen vor – der definitiven „Sacred Mushroom Edition“ von 1954 und weiteren Versionen, wahlweise mit der Musik von Harry Partch oder dem Electric Light Orchestra. Das 3001 zeigt eine der älteren Versionen.

Wie in dem wesentlich häufiger, unter anderem im öffentlich rechtlichen Kulturprogramm der Dritten, zu sehenden Scorpio Rising arbeitet Anger in Inauguration of the Pleasuredome mit Versatzstücken aus Religionen, Mythen und Ritualen und setzt sie in Beziehung mit ihren Entsprechungen außerhalb der jeweiligen (Glaubens-)Systeme. Das klingt komplizierter als es ist. In Scorpio Rising bedeutet das nur, dass Marlon Brando und James Dean mit Jesus darum streiten, wer den besten Märtyrer abgegeben hat, während der homoerotische Biker-Führer in den Helm uriniert und mit Hitler flirtet; Chrom wird zum Gral, Geschichte zum Comicstrip, historische Figuren verwandeln sich in Pappkameraden; für vier Frames flackert ein Penis über die Leinwand; akustisch kommentieren aufwühlende Teenage-Dramen das Geschehen – mit Sätzen wie „He's a rebel and he'll never be free“ –, Motorräder liefern die einzigen Originalgeräusche. Im Schlussbild streckt der sterbende Anführer Scorpio seinen Arm aus, auf dem im roten Licht der Sirenen zu lesen ist: „Blessed, Blessed Oblivion.“ Lars Brinkmann

Kenneth Anger Programm (mit Kurzfilmen, Scorpio Rising und Inauguration of the „Pleasuredome) Do + So - Mi, 22.30 Uhr, 3001