Kriegspropaganda und Wahrheit

In den am stärksten kontaminierten Regionen Bosniens und Kosovos sind Italiener stationiert. Hinweise, wonach im Kosovo Zivilisten ähnliche Krankheitsbilder aufweisen, gibt es noch nicht

Nach der Stationierung der KFOR waren es italienische Truppen, die Panzerwracks beseitigen mussten

SPLIT taz ■ Kurz nach dem Abkommen von Dayton im Herbst 1995 wies ein serbischer Offizier auf einen „Skandal“ hin: Die Nato habe bei ihren Angriffen auf serbische Stellungen mit urangehärteter Munition geschossen. Ganze Landstriche in den serbisch kontrollierten Zonen Bosniens und Herzegowinas seien kontaminiert worden.

Was nach Kriegspropaganda roch, stellte sich später zum Teil als zutreffend heraus. Zwar waren nicht ganze Landstriche kontaminiert worden, aber die Nato gab zögerlich zu, dass solche Munition verwendet worden war. Eine Delegation von US-Militärs besuchte im Sommer 1996 Banja Luka. Dort soll über die Geschosse geredet worden sein. Danach legte sich die Aufregung im serbischen Teil Bosniens wieder. Bis die US-Armee im Krieg um das Kosovo erneut mit dieser Munition schoss.

Wieder schlugen die serbischen Militärs Alarm. Und sogleich wurden neue Gerüchte in die Welt gesetzt. Nach einem Angriff der Nato 1995 auf den damals von Serben kontrollierten Belagerungsring um Sarajavo, vor allem auf den Vorort Hadzici, seien von rund 4.000 Menschen bis heute 400 an Krebs erkrankt.

Wenn die UN-Umweltorganisation nun einen Bericht vorlegt, in dem von acht kontaminierten Einschlagstellen gesprochen wird, ist sicherlich erwiesen, dass diese Munition in großem Umfang verwendet wurde. Die Frage jedoch, ob die Erkrankungen der italienischen Nato-Soldaten, die in Bosnien und im Kosovo eingesetzt wurden, in einem direkten Zusammenhang mit der Munition stehen, bleibt weiterhin offen.

Auffällig ist allerdings, dass die Einsatzgebiete der Italiener sowohl in Bosnien wie im Kosovo in Regionen liegen, die in besonderem Maße den Luftangriffen der Nato ausgesetzt waren. Die italienischen Soldaten sind in Sarajevo und Umgebung, in den serbisch kontrollierten Gebieten östlich und nördlich der Stadt, in Pale und Han Pijesak, stationiert. Gerade diese Gebiete waren 1995 von dem Beschuss durch Nato-Flugzeuge in besonderer Weise betroffen.

Auch die italienische Zone im Kosovo um die im Westen liegende Stadt Peć war Ziel von Angriffen der Nato-Luftwaffe. Denn dort, vor allem in den Grenzregionen zu Albanien, waren wie in der Region um Mitrovica serbische Panzer konzentriert. Diese Panzer sollten durch die urangehärteten Geschosse zerstört werden.

Nach dem Einrücken der Nato-Truppen und der Installierung der KFOR waren es italienische Truppen, die in dieser Region die Wracks beseitigen mussten. So ist durchaus wahrscheinlich, dass italienische Soldaten, wie auch belgische und französische in der Region nördlich von Mitrovica, unmittelbar mit kontaminiertem Material in Berührung gekommen sind.

Bei Anwohnern sind nach kosovarischen Angaben ähnliche Krankheitsbilder bisher nicht aufgetreten. Bob Churchir, Mitglied der International Crisis Group in Priština, bleibt daher vorsichtig. Ein Zusammenhang von uranhaltiger Munition und den Krankheitsbildern könne bisher nicht bewiesen werden. Es stelle sich die Frage, ob die Erkrankungen der Soldaten statistisch nicht jenen in der italienischen Gesamtbevölkerung entsprächen.

Dass nach belgischen Presseberichten belgische Soldaten, die in der kroatischen Krajina und in Slawonien bei Vukovar eingesetzt waren, ebenfalls an Krebs und Leukämie erkrankt sein sollen, könnte ein Hinweis für andere Ursachen der Krankheit sein. In diesen Regionen wurde nach bisherigen Erkenntnissen nicht mit urangehärteter Munition geschossen. ERICH RATHFELDER