zwischen den rillen
: Dekonstruktion und Neustart: RATM und NIN

Läuterung durch Lärm

Rage Against The Machine, oft spöttisch als gutes Gewissen der MTV-Generation etikettiert, sind seit dem Erscheinen ihres ersten Albums ein Paradebeispiel für die Katharsistheorie im Rock: Läuterung durch Lärm. Aber sie boten auch immer wieder Anlass zu Diskussionen, wie glaubwürdig eine sich als links und systemkritisch gebende Band sein kann, die bei einem Medien-Giganten wie Sony unter Vertrag steht und das Geld für über vierzehn Millionen verkaufte Alben auf dem Konto liegen hat.

Das optische wie auch agitatorische Aushängeschild der Band, Sänger Zack de la Rocha, wird die weiteren Rechtfertigungsversuche von nun an gern seinen Exkollegen überlassen: Er ist unmittelbar nach den Aufnahmen zum aktuellen Album „Renegades“ ausgestiegen, um seine musikalischen Vorstellungen als Solokünstler zu verwirklichen – ein Umstand, der die Zukunft des Quartetts aus Los Angeles, trotz allen geradezu verdächtigen Optimismus der verbliebenen drei Mitglieder, in Frage stellen mag. Schade wäre es allerdings um eine Band, die sich nicht nur Politik auf ihre Fahnen geschrieben hat, sondern eben vor allem für einzigartige Musik steht.

Die Kollektion von Coverversionen – oder besser: Neuinterpretationen –, die auf „Renegades“ nun große Namen und Einflüsse der Band zitiert, wie etwa den Rap-Großpionier Afrika Bambaataa (und zwar dessen erste und munter eingängige Single „Renegades of Funk“), Cypress Hill oder Minor Threat, bringt das Besondere ihrer Arbeit auf den Punkt: Der Groove rollt, schlendert oder poltert durch die Stücke je nach Bedarf, und Gitarrist Tom Morello entlockt seinem Instrument einmal mehr Töne, wie sie so noch nie zu hören waren. Selten waren die Raps mitreißender, nie die Freude der Musiker an der eigenen Arbeit spürbarer als ausgerechnet auf ihrem Abschiedswerk.

Eine Frische, die sich vor allem in der radikalen Bearbeitung der einzelnen Songs manifestiert. RATM erschaffen einen Sound, der in seiner Kraft derart unverwechselbar ist, dass von den Originalen oft gerade mal die Texte bleiben. Alle Titel wurden bis auf die Botschaft skelettiert und mit einem Gewebe versehen, sodass sie als RATM-Stück reinsten Ursprungs durchgingen, wäre da nicht das Wissen um ihre Herkunft. Und eben das könnte die für RATM so typische Botschaft sein: Hier sind die Inhalte, und das hier ist es, was wir dazu zu sagen haben. Seht hin und steht auf.

So wie RATM ihre Energie aus einer Wut über das Außen beziehen, speist sich die kreative Motivation des Trent Reznor aus dem Unvermögen zu schmerzloser Existenz. Sein Feind sitzt im Inneren, ist Teil des eigenen Ichs und opponiert gegen jede Hoffnung auf Linderung. Seit den Anfängen NINs, die de facto Trent Reznor sind, handelt jede einzelne Note, jedes brüchige Flüstern, jeder Schrei dieses Mannes von nichts anderem, so scheint es. Und doch ist da in stilleren Momenten eine Zärtlichkeit und eine Sehnsucht, die klarstellen, dass Schönheit nicht zwangsläufig der Makellosigkeit bedarf.

All dies mag an dumpfe Gothic-Larmoyanz erinnern – eine Klientel, zu dem sicher ein nicht geringer Teil der NIN-Anhänger zählt. Doch das vermeintliche Klischee ist keines. Trent Reznor versteht es einfach, seine Ängste und Depressionen, gegen die er mittlerweile mit Medikamenten ankämpft, so zu kanalisieren, dass sie für sein Publikum greifbar und fühlbar werden.

Auch zu seinem letzten Album „The Fragile“ veröffentlicht Reznor wieder eine Kollektion von Remixen der dort vertretenen Songs. Wie bei RATM wird hier also Fertiges genommen und mittels Dekonstruktion ein neuer Aspekt herausmodelliert. Mit dem Unterschied, dass Reznor sein eigenes Werk seziert, während RATM etwas Fremdes so konsequent vereinnahmen und darbieten, als läge dessen Ursprung tatsächlich bei ihnen.

Trent Reznor geht bei der Atomisierung seiner Songs dieses Mal sogar noch weiter, als man es von ihm gewohnt ist, und bedient an kaum einer Stelle gängige Rock- oder gar Pop-Konventionen. Selten hat er seinen Fans so viel an Offenheit, aber auch Geduld abverlangt, und selten war die Belohnung für eine intensive Auseinandersetzung mit Musik so generös wie bei „All Things Fall Apart“.

Kaputter denn je, die eigenen Standards in einem Akt autoaggressiver Reflexion zertrümmernd, positioniert sich Reznor einmal mehr als das Original unter den Legionen unsäglicher Industrial-Rock-Formate. Er zeigt dem Publikum die Anmut hinter verstörenden Fassaden und dass ein gutes, ein lebendiges Stück Musik niemals mehr sein kann als eine Version.

ULF IMWIEHE

Rage Against The Machine: „Renegades“ (Epic/Sony); Nine Inch Nails: „Things Falling Apart“ (Nothing/Motor/Universal)