Mehr als nur historische Bezüge

■ Von Stadt und Land, Gegenwart und Vergangenheit: Im dritten Teil der Filmreihe Back in the USSR? präsentiert das Metropolis russische Regiearbeiten der jüngsten Zeit

Mit dem dritten und letzten Teil der Reihe „Back in the USSR?“ präsentiert das Metropolis ab Samstag aktuelle Produktionen russischer Regisseure. Pavel Lungins Hochzeitsgesellschaft eröffnet das Programm. Der Regisseur lebt in Paris und gewann 1990 mit Taxi Blues in Cannes den Preis für die beste Regie. Sein neuer Film startet im Frühling in den deutschen Kinos und wird im Metropolis vorab gezeigt.

Lungin siedelt seine Geschichte in der russischen Provinz an, um von traditionellen russischen Werten zu erzählen: Im Bergarbeiterdorf Lipski bereitet Mischa seine Hochzeit mit Tanja vor, die aus Moskau kommt und dort als Modell gearbeitet hat. Die Dorfbewohner halten sie für ein verdorbenes Mädchen und streuen üble Gerüchte über sie. „Ohne einen ehrlichen Mann kann ein Dorf nicht existieren“ heißt ein russisches Sprichwort. Der mitunter etwas naive Mischa verkörpert den jungen ehrlichen und optimistischen Russen als Identifikationsfigur nicht nur für das Dorf, sondern für die russische Gesellschaft der Gegenwart.

In Alexander Sokurovs 1999 entstandenem Moloch geht es dagegen um deutsche Geschichte. Schauplatz ist Hitlers Festungsquatier in den Alpen, in dem sich 1942 führende Nazigrößen die Zeit vertreiben. Sokurovs Film ist streng wie ein Theaterstück inszeniert und besticht durch einen besonders malerischen Stil. Die Farben Grau und Blau dominieren und etablieren in Verbindung mit der sterilen Architektur der Festung eine irreale Atmosphäre.

Valerie Ogorodnikows Die Baracke basiert auf einer Kurzgeschichte von Victor Petrow. Der Film erzählt vom Leben einer Gruppe von Menschen, die es 1953 in eine solche Übergangsbehausung verschlagen hat. Als Überlebende von Krieg und Stalinismus bilden sie hier eine vitale und vielfältige Gemeinschaft von an den Rand gedrängten Lebenskünstlern.

Wie Die Baracke wird wohl auch Alexei Belabanows jüngster Film, der im Metropolis unter seinem englischen Titel Of Freaks and Men gezeigt wird, in deutschen Kinos kaum zu sehen sein – und das ist schade. Belabanow, der bereits als der „russische David Lynch“ bezeichnet wurde, erregte 1997 mit Bruder viel Aufsehen. Sein ein Jahr später entstandener Film fasziniert durch seinen visuellen Stil.

Of Freaks and Men erzählt von den Anfängen des Films, des kinematographischen Apparates, im St. Petersburg der Jahrhundertwende. Dabei ist der Film selbst wie eine Hommage auf die Anfänge des Kinos gestaltet. Zwischentitel kommentieren die Handlung. Die klassisch fotografierten Bilder, die in ihrer Symbolik an Tarkowski erinnern, erscheinen wie behutsam nachkolorierte Schwarzweißaufnahmen. Doch Belabanow beschreibt keinen heroischen Siegeszug des neuen Mediums, sondern erzählt die Geschichte vom Triumph des Films, anhand der Anfänge der pornographischen Foto- und Filmaufnahme.

Die Mitglieder zweier wohl situierter St. Petersburger Bürgerfamilien verfallen der Erotik des sich zur Schau Stellens und geraten so in die Abhängigkeit des Pornoproduzenten Johann. Dramatisch verfallen die bürgerlichen Werte und der Filmhändler übernimmt die Macht über die Familienmitglieder. Ein pessimistischer Tenor bestimmt diesen schwarzen Film. Hoffnungslosigkeit und Ernüchterung geht von den Protagonisten aus. Als die Akteure sich von ihrem Peiniger befreit haben, wandeln sie orientierungslos durch die Stadt als suchten sie von neuem ihre Identität. Bilder aus einer längst vergangenen Zeit, die auch für das Russland von heute sprechen können.

Lasse Ole Hempel

Die Hochzeitsgesellschaft: Sa, 21.15 Uhr; Moloch: 11.1., 19 Uhr + 14.1., 17 Uhr; Die Baracke: 17.1., 17 Uhr; Of Freaks and Men: 28.1., 19.30 Uhr + 29.1., 17 Uhr, Metropolis