Gemeinden konnten „Nein“ sagen. Früher.

Da kaum eine Kommune Standort eines Psychiatrieknasts werden will, beschränkt ein neues Gesetz ihre Widerspruchsmöglichkeit

DÜSSELDORF taz ■ Der Sexualstraftäter Bernd Büch floh mit Unterstützung zweier Fluchthelfer aus dem „Forensischen Dorf“ im rheinischen Düren. Zwei Tage später, am 15. April 1998, tötete er in Sennewitz/Sachsen-Anhalt zwei Menschen und vergewaltigte zwei Frauen. Die Getöteten waren Opfer neun und zehn, die Forensikpatienten in NRW seit 1990 auf dem Gewissen haben. Die anderen Todesopfer waren Mitpatienten, Pflegekräfte und zwei Kinder. Büch wurde vom Landgericht in Halle/Saale zu „lebenslänglich“ mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.

Nach seiner Festnahme untersuchte ein Landtagsauschuss die Zustände im NRW-Maßregelvollzug. Auf 1.000 Seiten weist der Abschlussbericht vom März diesen Jahres auf die skandalösen Verhältnisse in den sieben Straftäterkliniken hin. Im Festen Haus, dem Hochsicherheitstrakt der rheinischen Kliniken Bedburg-Hau, mussten Neuzugänge in Toiletten und Duschräume einrücken. Die Bausubstanz ist so marode, dass der Essener Forensikprofessor Norbert Leygraf schlicht die Sprengung des Hauses empfahl. Der Ausschuss zieht den Schluss: Eine Therapie der Straftäter sei unter diesen baulichen Voraussetzungen unmöglich. Das Personal sei überlastet. Die Sicherheit der Bevölkerung nicht mehr gewährleistet.

Vor diesem Hintergrund und der Pleite in Herten (siehe mittlerer Kasten) änderte die rot-grüne Landesregierung Mitte 1999 das Maßregelvollzugsgesetz. Danach kann sie das Planungsverfahren zum Bau einer Klinik auch gegen den Willen der Kommune durchsetzen. Die Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe wurden als Klinikbetreiber zu unteren Landesbehörden degradiert. Als Leiter der neuen Landesoberbehörde installierte Rot-Grün den Maßregelvollzugsbeauftragen Uwe Dönisch-Seidel. Der Rechtspsychologe aus Bedburg-Hau kontrolliert seit April 2000 den klinischen Alltag in den gerichtspsychiatrischen Anstalten. Außerdem schrieb er das Konzept für die geplanten Kliniken und prüfte dazu über 130 Standorte in NRW.

Um den Schmökel-Effekt in NRW auszuschließen, erklärt Dönisch-Seidel die Sicherheit im Maßregelvollzug zur höchsten Priorität. Bei falscher Gefährlichkeitsprognose stehen Rechtsgutachter mit einem Bein im Gefängnis. Gegen drei Führungskräfte der Neuruppiner Forensik, die eine Lockerung für Schmökel befürwortet haben, ermittelt der Staatsanwalt wegen fahrlässiger Tötung.

In Lippstadt-Eickelborn installiert Gesundheitsministerin Birgit Fischer ein Fortbildungszentrum für Rechtsgutachter. Stehen in Zukunft Ausgänge von Patienten – mit oder ohne Begleitung – an, greift ein enges Sicherheitskorsett. In jedem Fall müssen interne Sachverständige ihr schriftlich fixiertes Einverständnis geben. Bei Straftätern, die schwere Gewalttaten verübt haben, wird zusätzlich ein externes Gutachten hinzugezogen. In schwer wiegenden Fällen wie Kapital- und Sexualverbrechen muss nach neuer Gesetzeslage auch die Strafvollstreckungsbehörde zustimmen. KURT SCHRAGE