Senderfreies Prag

Tschechiens öffentlich-rechtliche Fernsehanstalt CT schlingert von einem Eklat zum nächsten: Journalisten rebellieren gegen ihren neuen Chef

Streikende Journalisten besetzen den Sender und machenso lange Programm, bis derIntendant sie abschalten lässt

aus Prag ULRIKE BRAUN

Im Tschechischen Fernsehen tobt die Revolution, live. Schon seit vier Tagen ist das Gebäude des öffentlich-rechtlichen Senders Česka Televize (CT) von den eigenen Nachrichtenredakteuren besetzt, seit Heiligabend werden zweierlei Nachrichtensendungen in den Äther geschickt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag trotzten tausende der winterlichen Kälte, um die rebellierenden Fernsehmacher lauthals zu unterstützen: „Svoboda“ – Freiheit – riefen sie immer wieder. Zuviel politischer Druck werde auf den Sender ausgeübt, so der Vorwurf. Generalintendanten und Chefredakteure haben in den letzten Jahren öfter gewechselt als die Reklame auf Prager Straßenbahnzügen.

Wer den Politikern des Landes zu unbequem war, musste seinen Hut nehmen. Erst letzten Sommer musste der Moderator der Sendung „V prave poledne“, einer sonntäglichen Politdiskussion, gezwungenermaßen seinen Platz räumen, weil seine Fragen dem sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Miloš Zeman und dem bürgerlichen Parlamentsvorsitzenden Václav Klaus, beide durch Tolerierungsabkommen absolute Herrscher der tschechischen Politszene, zu sehr aufgestoßen sind

Was sich über die Weihnachtsfeiertage so dramatisch zugespitzt hat, zieht sich eigentlich schon seit knapp zehn Jahren hin. Das 1991 erlassene Gesetz über öffentlich-rechtliche Medien erlaubt Politikern zu viel Einflussnahme. Sind es doch Parlamentsabgeordnete und Parteibonzen, die die Mitglieder des Rates des Tschechischen Fernsehens bestimmen.

Und der scheint stark unter dem Druck der Bürgerlich-Demokratischen Partei (ODS) von Václav Klaus zu stehen. Das ist in letzter Zeit immer offensichtlicher geworden: Erst wurde Generalintendant Dusan Chmelnicek, knapp ein Jahr im Amt, abberufen, prompt der ODS-treue Jiři Hodac als Nachfolger bestimmt, trotz 30 weiterer Bewerber für den Posten. Hodac wiederum ernannte eine weitere Anhängerin der Bürgerdemokraten zur Nachrichtenchefin: Jana Bobiskova, einst Redakteurin der Nachrichtensendung „21“, führte sich in ihr Amt ein, indem sie versuchte, zwanzig Nachrichtenredakteuren deren Kündigung zu überreichen.

Statt diese anzunehmen, stelten sie sich aber stur und besetzten den Sender, unterrichten die Bevölkerung jetzt auch ohne Zustimmung der Chefredaktion über das Geschehen in der Welt – so man sie lässt: Am Mittwoch wurde das Frühstücksfernsehen kurz nach Beginn von Intendant Hodac abgebrochen und durch das Programm von CT2 ersetzt. Die Sendung sollte den Streik selbst zum Thema haben und konnte daher dem Intendanten nicht genehm sein.

Bereits am Sonntag und Montag waren die von den streikenden Journalisten produzierten Hauptnachrichtensendungen nicht ausgestrahlt worden. Die neue Intendanz ersetzte sie durch eigene Sendungen. Und gegen die Journalisten, die ihre Kündigung nicht annahmen, erstattete Hodac kurzerhand Strafanzeige – und nimmt die schlechte Publicitybilligend in Kauf.

Schon jetzt haben die Streikenden eine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Und nicht nur die tschechische Künstlergemeinde, sondern auch einige sozialdemokratische Politiker – etwa Kulturminister Pavel Dostal – bezeugten ihre Sympathie mit den Journalisten.

Wie überhaupt jeder, der von der politischen Situation, die seit den Wahlen im Jahre 1998 in Tschechien herrscht, die Nase voll hat. So spiegelt die Rebellion im Öffentlich-Rechtlichen die latente politische Krise des Landes wider, in dem seit besagten Wahlen keine richtige Opposition besteht.

Einziger Ausweg, den zum Beispiel Kulturminister Pavel Dostal oder der Schauspieler Zdenek Sverak („Kolja“) sehen: Eine baldige Änderung des umstrittenen Gesetzes und ein neuer Generalintendant, der nicht willenlos an den Strängen der politischen Machthaber baumelt.