Realismus hinter den Bildern

Antibesinnliches im 3001: Takashi Ishiis Yakuza-Thriller Gonin  ■ Von Tobias Nagl

Herr Ogiwara ist einer von jenen Männern, die mit Vesperbrot in der Aktentasche pünktlich die Vorstadt-idylle verlassen – auch dann, wenn sie schon lange ihren Job verloren haben. Und irrt er auch verzweifelt durch Tokios Red-Light-Bezirk Shinjuku, seine Familie kann sicher sein, dass er sich immer wieder am Telefon nach ihrem Wohlergehen erkundigen und von der Arbeit klagen wird, der er in Wirklichkeit längst nicht mehr nachgeht. In Takashi Ishiis Gonin treffen wir Herrn Ogiwara an einem der dunkelsten Orte sozialer Verwahrlosung, die eine High-Tech-Metropole aufzubieten hat: einer Baseball-Übungshalle, in der frustrierte Manager sich mit Bällen beschießen lassen. Herr Ogiwara ist das Zerrbild dieser Welt, und er droht, den Kopf zu verlieren. Auf dem Court kehrt sich sein Innerstes nach außen, als er den Diskobesitzer Bandai anfällt, der beim Abschlagen mit perversem Genuss dem Handy-Klingeln lauscht, ohne abzunehmen.

Herr Ogiwara und Bandai sind zwei der fünf Männer (japanisch „gonin“), die sich aus unterschiedlichsten Motiven zusammentun, um den Yakuza-Boss Ogoshi auszurauben – um dann einen von Takeshi Kitano grandios unbewegt gespielten Berufskiller auf die Fersen gesetzt zu bekommen.

Der vor fünf Jahren gedrehte Gonin unterscheidet sich von den Filmen, die Kitano selbst gedreht hat, fundamental. Wo dieser ein Meister der elliptischen Erzählweise und visuellen Abstraktion ist, lässt Ishii filmisch die Balken krachen, wie man das sonst allenfalls in Hongkong tut. Eher ein Celluloid gewordener Manga als ein kinematographischer Steingarten, war Gonin Ishiis Spielfilmdebüt nach 13 Animationsfilmen. Trotz aller oktanreichen Kinetik, die Gonin bisweilen auf Kosten der Story entfacht, sind Ishiis Figuren stark genug, um für berührende Momente zu sorgen. Und wie in jedem guten Gangsterfilm dienen diese Figuren und ihre Geschichten eben nicht nur dem Abfeiern einer irgendwie coolen Yakuza-Ästhetik, stilisierter Gewalt oder anderer „Härte“-Insignien. Vielmehr sind sie Angelpunkte eines sozialen oder psychologischen Realismus hinter den Bildern, der von dem Druck erzählt, der auf seinen Trägern lastet.

Dieser Mehrwert jenseits des Spektakels stellt sich spätestens dann ein, wenn die Dinge anfangen schiefzulaufen und wir Herrn Ogiwara zu Hause wiedertreffen. In einer alptraumhaften Szene kehrt er nach dem gelungenen Coup zur Familie zurück, die er wohl selbst ermordet hat. Während die Leichen schon den Boden zieren, schneidet Ishii immer wieder in die Subjektive seines Protagonisten, der zu „Für Elise“-Klängen den ritualisierten Alltag zwischen Schaumbad und Abendessen halluziniert. Diese und auch einige andere Szenen, die Gonins flüssige Kamera en passant anschwemmt, sind so beklemmend, dass man gerne auf den einen oder anderen manierierten Shoot-out verzichtet hätte.

21. - 27., außer 24.12., 22.30 Uhr, 3001